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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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wahrscheinlich dasselbe was ich auch will!« sagte er mit wildem Galgenhumor. »Das Leben ist Ihnen n bischen zu schwer geworden, gelt? wollens abschütteln? Geht mir auch so! Schütteln wir gemeinsam.«
    Sie sah ihn, wie aus einem entsetzlichen Traum erwachend, an.
    »Ach, Sie sinds?« stammelte sie, ihn jetzt erkennend. »Warum folgen Sie mir?«
    »Nun, ich kann mir denken, was Ihnen fehlt,« fuhr er mit unheimlicher Aufgeräumtheit fort. »Das ewige Mistrauen Ihres Manns . . . nicht wahr? Das hat Ihnen die Sinne verrückt und so verschiedenes Andere.«
    Sie nickte und lispelte wieder: »Ja, was will ich denn? was will ich denn?«
    Er drückte sich den schwarzen Filzhut über die Stirn. »Nun,« fuhr er fort, »Sie haben mir ja vor einigen Tagen Andeutungen gemacht . . . Ich weiß genau, was in Ihnen vorgeht . . . auch von Otto . . . Was in mir vorgeht? nu! das ist ja gleich! das brauchen Sie nicht zu wissen. Genug, ich hab einen Fluch auf mich geladen . . . ich kann nach so was nicht mehr weiter die Welt verunzieren. Geht wirklich nicht; sie speit mich aus. Aber sagen Sie doch: wie wollen denn Sie die Reise machen? ins Jenseits hinüber aus der Welt des Scheins.«
    Er hatte mit dem eigentümlich gleichgiltigen, müden Humor der Verzweiflung gesprochen. Sie blickte mit stumpfem Weh im Aug, frierend, in sich zusammenschaudernd, in die graue Weite. Der eisige Wind pfiff über die unendliche kahle Wiesenfläche und trug den schrillen Aufschrei eines fern heranrollenden Bahnzugs herüber. Man sah am Horizont die weiße Dampfwolke der Lokomotive wie einen Ballon hinschweben.
    »Sie wollten gewiß ins Wasser springen?« fragte er mit selbstpeinigendem Sarkasmus die verstört ins Weite starrende Frau. »Tun Sie das nur nicht! das ist höchst ungemütlich bei der Temperatur. Nein! Da gibts ein viel einfacheres Mittel . . .«
    »Einfacheres Mittel?« lallte sie geistesabwesend.
    »Freilich, ein schnelleres!« fuhr er fort, »die moderne Technik hat weit raschere Mittel die Seele vom Leib zu trennen, als das Wasser. Überhaupt spaziert man rascher und bequemer aus der Welt, als in die Welt. – Sehen Sie?«
    Er griff in die Tasche und holte den matt blinkenden Revolver heraus. Kaum hatte sie das Instrument erblickt, dessen schwarze Mündung ihr drohte, so malte sich auf ihren Zügen ein solcher Ausdruck des Schreckens, daß er schmerzlich auflachen mußte. Er steckte die Waffe wieder ein. »Mir scheint, s ist Ihnen doch nicht sehr ernst mit dem Sterben, was?« stieß er zitternd heraus.
    »Ich . . . weiß nicht,« stammelte sie. »Ich kanns nicht.«
    »Na,« sagte er, »sehen Sie dort die Kreuze über die langweilige Mauer herüber winken? Suchen wir die Ruhestätte der Abgeschiedenen auf. Vielleicht lernen Sie aus dem Anblick der Toten die Welt verachten! Oder das Leben wieder lieben? Je nachdem! Hören Sie? . . . dort wehen eben die Akkorde eines Posaunenchorals über die Mauer. Die Musici blasen schläfrig; wahrscheinlich sinds elende Dilettanten; oder werden sie jämmerlich für ihre Künste bezahlt. Hören Sie! . . . Jetzt weht uns der Wind die abgerissene Stimme des Pfarrers herüber. Was wird er sagen? »Er war Gatte und war ein guter Gatte . . . er war Vater und war ein guter Vater . . . er war Sohn, Schwager, Bruder, Onkel, Tante . . . alles sehr gut!« Kommen Sie! – Die Predigt könnte mir zwar den letzten Rest von Lebensmut aus dem Leibe treiben, – doch Ihnen gibt sie vielleicht neue Kraft? was?«
    Sie schritten den Feldweg entlang, der langen, grauen Mauer des Mosacher Kirchhofes zu. Die Posaunenakkorde waren verstummt; traumverloren, wie aus den Hallen der Ewigkeit wehten die abgerissenen Phrasen der Predigt herüber, ihr hohles Pathos mischte sich kalt und dumpf mit den Stößen der kalten Winde. Jetzt ein salbungsvolles Amen! Dann wieder ein paar unreine Posaunenakkorde.
    Jetzt hatten sie den Kirchhof erreicht und traten in die neue Leichenhalle ein. Der breite architektonisch reich geschmückte Sandsteingang ward von der einen Seite durch große Glasscheiben ähnlich wie bei Aquarien erhellt. Hinter diesen riesigen Glasscheiben lagen die Toten in ihren Särgen, mit duftenden Blumen den Symbolen des Lebens geschmückt, von oben beleuchtet, als seien es seltene Sehenswürdigkeiten.
    »Sehen Sie,« dozierte Karl in seinem ihm eigenen professoralen Ton, »hier haben Sie das Wachsfigurenkabinett des Tods. Ist das ein schauerlicher Anblick? Im Gegenteil! Man möchte sich gleich

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