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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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käme. So streng hat das sein Vater auch wol gar nicht gemeint; das beweist ja sein Nachsatz. Also – verbieten wir dem Herrn Karl nicht völlig unsre Wohnung.«
    Emma schwieg immer noch, vor sich hinstarrend. Luise drang noch einmal in sie.
    »Ich lehne jede Verantwortung ab,« lächelte endlich Emma. »Wenn Sie hier um Ihr Seelenheil und Ihre Tugend kommen, – meine Schuld ists nicht.« Alle lachten.
    »Ich laß es darauf ankommen,« sagte Karl freudig erregt. »Ich danke Ihnen. Ich werde von Ihrer Erlaubnis keinen zu häufigen Gebrauch machen; nur hie und da, auf einen Sprung. Ich hätts ja sonst nicht ausgehalten. Ich hab mich so daran gewöhnt, Ihnen all mein Wol und Weh mitzuteilen, – sonst hab ich ja niemand, der mich versteht.«
    »Nun denn,« versetzte Emma mit resigniertem Lächeln, »ich überlaß es Ihnen. Ich lade Sie nicht ein, ich werfe Sie nicht hinaus.«
    Sie reichte ihm die Hand; doch nicht mehr so herzlich wie sonst. Es lag eine müde, kühle Gleichgiltigkeit über ihrem ganzen Wesen. Karl empfand das schmerzlich und bereute heftig seine vorschnelle Mitteilung des väterlichen Verbots.
    Schon seit einiger Zeit tönte sehr mangelhaftes Klavierspiel aus dem anstoßenden Zimmer, und unterbrach zuweilen das Gespräch der Beiden in widerwärtiger Weise.
    »Zum Teufel,« rief Karl ganz laut, »welcher Stümper hackt denn da so polizeiwidrig auf dem Ohrenfolterkasten herum?« Während Emma, ein Gelächter unterdrückend, sich an ihren Schreibpult begab, eilte Karl bis an die Türe des Nebenzimmers. Zu seiner großen Überraschung sah er da ein reizendes junges Mädchen von etwa siebzehn Jahren am Klavier sitzen. Das hübsche Kind hatte seine brüsken Worte gehört, es errötete stark, nahm die Hände von den Tasten und wendete ihm, mittelst eines burschikosen Schwungs auf dem Drehstuhl, ihr kleines, blasses Gesichtchen zu.
    »O . . . Sie, Fräulein Natalie?« rief Karl, den im Anfang das grelle Sonnenlicht geblendet hatte.
    Es war die Tochter des Rechtsanwalts Meyer, der im dritten Stock über Körns wohnte. Der Primaner, der ihr fast täglich auf der Treppe begegnete, pflegte sie wenig zu beachten. Natalie wendete ihm jetzt ihren reizenden, kleinen Kopf mit den hilfeflehenden Augen zu. Sie war ganz weiß gekleidet; ihr Kopf hob sich eigenartig vom Goldgrund des sonnigleuchtenden Fensters ab. Zum erstenmal merkte er, daß dies Geschöpfchen eigentlich sehr nett war. Ein Rokokogesichtchen. Das feine Näschen, die zarten Wangen, die naiven Lippen glänzten in köstlicher Unschuld aus schwarzen, die halben Wangen bedeckenden Haarwulsten heraus, als wäre das Gesichtchen soeben mit besonderer Sorgfalt in der königlichen Porzelanfabrik hergestellt worden. Diese schwarze, düstre Umrahmung, die nur einen kleinen Teil des Gesichtchens sehen ließ, war äußerst effektvoll und doch ganz unbeabsichtigt. Die Verhüllung gab dem Antlitz eine gewisse süße, jungfräuliche Mütterlichkeit, man glaubte unwillkürlich, man müsse eine Puppe auf dem Schoß der Kleinen finden, man faßte sofort ein behagliches Vertrauen zu der Seele, die aus diesen kindlich-ernsten Augen lächelte.
    »Ach ja,« sagte die Reizende weinerlich, »nicht wahr, schrecklich! Mama wills absolut haben, ich soll Klavierspielen, hab doch gar kein Talent dazu, wahrhaftig nicht! gelt? schrecklich! Sie fühlen das auch?«
    Karl lachte laut.
    »Ich glaube, das würde selbst ein Kamerun-Neger fühlen,« meinte er.
    Sofort führte das süße Mütterlein das Schnupftuch an die Augen und lispelte wieder ihr »Schrecklich!«
    »Nu, zu weinen brauchen Sie deshalb nicht!« lachte Karl; »S ist ja bis jetzt noch kein Verbrechen, die Ohren seiner Mitmenschen zu martern . . .«
    »Ja, wissen Sie,« lächelte sie unter Tränen, »meistens spiel ich auch gar nicht; Fräulein Luise macht mirs leicht, – ich spring meistens im Garten herum, und nur zuweilen, wenns gar nicht anders geht, klimpere ich ein wenig da auf den Tasten.«
    »Nun, die Tasten bedaure ich gar nicht,« sagte er galant, »daß sie sich von so zierlichen Fingern müssen berühren lassen.«
    »Ach Sie!« machte sie ärgerlich, mit reizender Schulterbewegung. Dann stand sie auf, als jetzt Luise eintrat.
    »So,« sagte die Lehrerin freundlich, »für heut genug . . .«
    Dann wendete sie sich an Karl: »Fräulein Natalie hat heut ausnahmsweis ihre Stunde früher gelegt; da mußte sie sich mit dem Sauerkraut in meine Aufmerksamkeit teilen! Na, der Schaden ist nicht groß; sie hätte auch im

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