Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
bei uns zwischen meiner Mutter und ihm ab! Er hat, vielleicht ohne es zu wollen, statt Liebe, Haß in mein Herz gesät.«
»Ach gehen Sie,« unterbrach ihn Emma. »Haß! Sie können doch ihren leiblichen Vater nicht hassen!«
»Leider ists so,« fuhr er, finster vor sich niederschauend, fort. »Und es ist seltsam, – je näher zwei Menschen miteinander verwandt sind, desto intensiver treten alle Haßgefühle zwischen ihnen auf. Man fühlt die ›Bande des Bluts‹ als eine furchtbare Fessel; man möchte auseinander, wie zwei sich völlig Fremde, wie zwei Galeerensträflinge, und wird durch das unselige Verhängnis der Verwandtschaft gewaltsam wieder aneinander geschmiedet.«
Emma, die solche Ausbrüche für Übertreibungen jugendlicher Überspanntheit hielt, sagte lächelnd: »Ach, das meinen Sie gar nicht so schlimm; im Hohlspiegel Ihrer Phantasie verzerrt sich gleich jede Empfindung.«
»Meinen Sie?« höhnte er leise. »Nun, dann will ich Ihnen nur noch mitteilen, daß mir mein lieber Papa – verboten hat, Sie zu besuchen!«
Sie zuckte zusammen.
»So . . .?« lispelte sie;»aus welchen Gründen?«
»Aus ganz unsinnigen!« beschwichtigte er ihren aufsteigenden Zorn. »Sprechen wir nicht weiter davon.«
»Hat er etwa an meinem Lebenswandel etwas auszusetzen?« fuhr sie immer entrüsteter fort. »Glaubt er, ich verderbe seinen Sohn? Doch warum sich erregen! ich bin es ja längst gewohnt, falsch beurteilt zu werden.«
»Das ist das Schicksal aller Talente,« tröstete er sie. »Ich komme selbstverständlich doch zu Ihnen; nun erst recht.«
Emma sah, erregt atmend, mit starren Augen durchs Fenster auf die bunten Farben des herbstlich leuchtenden Hausgartens. Luise trat zu der Niedergedrückten hin, schlang zärtlich ihren Arm um ihre Schulter und flüsterte: »Liebe Emma! ist das meine welt- und menschenverachtende Sappho?«
»Luise,« entschuldigte sie ihre Melancholie, »ich setze mich gewiß leicht über alle Angriffe weg, das weißt du. – Aber das geht doch zu weit. Wie leicht kann es kommen, daß man auch deinen Klavierschülern und Schülerinnen unser Haus verbietet . . . Von was sollen wir dann leben? Der Direktor Körn ist eine sehr einflußreiche Persönlichkeit; nach seinem Urteil richten sich die besten Familien der Vorstadt und Stadt. Er kann uns einfach matt setzen, uns das Brot entziehen!«
Luise verstummte erschrocken.
»Es ist deshalb besser,« wendete sich Emma mit einiger Schärfe an Karl, »Sie besuchen uns nicht mehr.«
Karl zuckte zusammen, als habe ihn ein Schlag auf die Stirn getroffen.
»Das ist doch Ihr Ernst nicht, Fräulein?« stammelte er erbleichend, die Schulter vor Qual hin und her bewegend.
»Doch! vollkommener Ernst. Wenn Sie mich achten,« fuhr sie fort, »wenn Sie mir echte Freundschaft entgegenbringen, wollen Sie nicht meinen und meiner Luise Untergang. Auch in Ihrem eignen Intresse liegts, daß Sie Ihre Besuche einstellen.«
Karl rang zusammenschauernd nach Fassung.
»Aber – Fräulein,« brachte er mühsam heraus, »wissen Sie denn, was Sie mir da antun? Sie rauben mir die Lebenslust, die Sonne! Sie werfen mich in einen dunklen Kerker! O warum hab ich Ihnen überhaupt was vom Verbot meines Vaters gesagt!«
»Das ist nun geschehen,« lächelte Emma bitter. »Und Sie müssen sich als braver Sohn danach richten.«
»Nein, nie!« rief er. »Ich komme nach wie vor. Und wenn Sie mich hinauswerfen, – ich . . .«
Seine Stimme versagte. Beide Fräulein empfanden mit Beschämung, daß der Verzweiflungsausbruch des sensibeln Jünglings aus tiefstem, zerrissenem Herzen drang.
»Er hat ja hinzugesetzt,« stotterte er, mit den Tränen kämpfend, »ich verbiete dirs, aber du wirst doch hingehen.«
»Was hat er?« fragte Emma erstaunt.
»Ja, ich beschwörs! so hat er gesagt.« Er wiederholte die Phrase.
»Merkwürdig!« flüsterte Luise.
»Seltsam, höchst seltsam,« sagte Emma sinnend.
»Also,« flehte er, »nicht wahr? ich darf kommen? Sie verbieten mir nicht Ihr Haus?«
Emma schwieg. Luise blickte fragend auf die Freundin.
»Sagen Sie: Ja!« bat er leise. »Oder – Sie werden es bereuen.«
»Bereuen? was heißt das?«
»Ich sage Ihnen: Sie bereuen es.«
»Wenn Sie in einem solchen Ton reden, – möcht ich Sie erst recht bitten, Ihre Besuche einzustellen.«
»Fräulein Emma!«
Luise hatte Mitleid mit dem Leidenschaftlichen. »Herr Körn,« sagte sie, »kann ja seltner kommen. Du würdest auch manche Anregung verlieren, wenn er gar nicht mehr
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