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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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andern Fall nicht mehr gelernt. Nicht wahr, Herr Karl, Sie wohnen ja auch im Haus des Herrn Rechtsanwalts, nicht?«
    »Ja.«
    »Würden Sie nicht mal mit der Frau Rechtsanwalt sprechen, daß das Klavierspielen ihrer Natalie gar keinen Zweck hat?«
    »Nu ja, das will ich schon ausrichten.«
    »Dagegen hat das kleine Wesen ein recht hübsches Maltalent,« fuhr Luise fort. »Die Eltern sollten sie zu Emma in die Lehre schicken.«
    Emma trat herzu und bestätigte das. Sie zeigte ein Blatt, auf dem Nata (wie sie in der Familie gerufen wurde) sich ganz hübsch verewigt hatte.
    Indessen hatte sich die Kleine angezogen. Karl erbot sich, sie zu begleiten; sie nahm an. So wanderte er bald mit seinen Schulbüchern unterm Arm neben ihr her.
    Er hatte eigentlich immer von dem Mädchen den Eindruck großer Verschlossenheit erhalten. Wenn er ihr auf der Haustreppe begegnet war, hatte sie stets so verträumt vor sich niedergeschaut; war ihm immer so eilig entwischt wie ein verscheuchtes Rebhuhn. Dabei hatte sie manchmal ein eignes Lächeln, das ihn an das Lachen ihrer Mutter erinnerte; sie zog, gerade wie die Frau Rechtsanwalt, die Lippen so wunderlich schief zur Seite und blickte ihn von unten nach oben schelmisch-treuherzig-trotzig dabei an. Diesmal behielt sie auch lange ihre träumerische Verschlossenheit bei. Sie nahm sogar einen leisen Trotz an, eine gewisse pikante Abwehr, eine jungfräuliche Kühle. Karl empfand ihre Nähe mit einem süßen Unbehagen, als umwehe ihn die noch herbe, kühle Frühlingsluft eines Märzmorgens. Mit Mühe brachte er aus ihr heraus, daß sie eben gerade ›unbändig‹ für ihre englische Lehrerin schwärmte. Dann kamen sie auf den Roman zu reden, den sie gerade las. Er fragte danach; es war Scheffels Ekkehard. Er lobte das Buch. So waren sie auf einmal in die Litteratur geraten. Ihn überraschte dabei ihr richtiges, aber meist ablehnendes Urteil. Sie habe, erzählte sie ihm dann, auch Gedichte von ihm in der ›Litterarischen Wacht‹ gelesen.
    »So?« sagte er lächelnd, »von mir? Haben sie Ihnen gefallen?«
    In ihrer träumerisch-verschlossenen Weise sagte sie sehr ehrlich: »Nicht alle . . .«
    »Das freut mich!«
    »Wie?«
    »Daß Sie so offen das heraussagen, freut mich. Ich kann nämlich Lob gar nicht vertragen.«
    »Ei was?«
    »Nein. Ich bin zu mißtrauisch, halte auch zu wenig vom Urteil meiner Nächsten.«
    »Es wird ja auch,« meinte sie, »gar zu viel gedichtet. Zu was die vielen schönen Verse?«
    »Ganz meine Meinung!« lachte er. »Wir haben genug davon. Alle Gefühle sind durchgefühlt, die Welt will Taten. Wissen Sie, Fräulein, was ich tun möchte?«
    »Nun?«
    »All dies Dichten und Malen und Musizieren hat im Grund nur dann einen Sinn, wenn es die Welt veredelt. Das ist die eigentliche Mission der Kunst auf Erden. Sie erreicht dies auch; aber sehr, sehr langsam. Deshalb möcht ich dem Fortschritt Flügel geben.«
    »Wie wollen Sie das anfangen?« fragte sie gespannt.
    >Ich möchte eine neue Religion gründen!« sagte er.
    Sie sah ihm mit strahlenden Augen ins Gesicht. »Ach!« rief sie, plötzlich ein ganz anderes Wesen annehmend, »da begegnen wir uns; das war ja auch schon längst mein Ideal.«
    »Was?« versetzte er mit überraschtem Blick. »Sie haben auch so wunderlich verrückte Einfälle?«
    Sie lachte: »Noch viel verrücktere! Sie kennen mich gar nicht; ich bin ganz anders als ich scheine! Sehen Sie, mir genügt unsre Religion auch nicht. Ich finde nicht, daß sie die Menschen gesünder, edler macht; im Gegenteil! Das Christentum ist vielleicht daran schuld, daß heutzutage so viel Nervöse, Entartete herumlaufen.«
    »Ganz meine Ansicht,« stimmte er freudig ein. »Das Mittelalter mit seiner Askese, seinen Folterkammern, seinem Hexenwesen, Ketzerverbrennung, Judenverfolgung, hat die Menschheit geistig und körperlich ruiniert. Es ist ewig zu beklagen, daß sich unsere Kultur nicht auf dem Griechentum weiter entwickelt hat, sondern auf dem mit rohem Germanentum durchtränkten Judentum. Unsere Gymnasien wollen diesen Fehler verbessern; sie sind aber nur die matte Sehnsucht eines kranken Geschlechts nach Freiheit und Schönheit. Sehen Sie, meine Religion soll nun nicht auf Dogmen aufgebaut werden; ich würde ein Gefühl zum Gott ernennen; erraten Sie?«
    Sie sah ihn groß an und sagte: »Die Liebe!«
    »Nein,« fuhr er fort, »die Schönheit.«
    »Stellen Sie die Schönheit so hoch?«
    »Sie müssen wissen, was ich darunter verstehe. In der Natur liegt ein

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