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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Lebensauffassung brachte er es fertig, sich über die meisten Unannehmlichkeiten seiner Künstlerlaufbahn geschickt hinweg zu setzen. Schon die Art, wie er den jüngeren Freund begrüßte, war charakteristisch für ihn, den leichtlebigen Phantasiemenschen.
    »Endlich wieder mal?« rief er mit burlesker Verdrehung des Oberkörpers. »Endlich mal im Leben ein Wiedersehen? also noch nicht gestorben? Na – leb leider auch noch! bin tief erschüttert.«
    Er fuhr sich mit dem Zeigefinger erst ins eine, dann ins andere Auge, als schnicke er eine unsichtbare Träne auf das Straßenpflaster.
    Karl ging auf den Scherz, der vielleicht einen anderen beleidigt hätte, ebenso humorvoll pathetisch ein. »Man sieht dich ja gar nicht mehr,« schluchzte er mit komischer Rührung; »hatt solche Sehnsucht nach deinem rotangelaufenen Hals und den prächtigen roten Haaren!«
    »An mir ist alles rot,« scherzte Otto. »Der reinste Sozi.«
    »Hat sich denn immer noch keine Wand über deinen »Sokrates vor den Richtern« erbarmt?« fragte der Freund. »Trauert das Gemälde noch in deinem Atelier?«
    »Immer noch!« seufzte der Künstler. »Sokrates ist immer noch nicht verurteilt, – d. h. ich hab ihn längst verurteilt. Das Bild entspricht nicht mehr meiner neuesten Richtung. Hab jetzt eine ganz neue Technik gefunden. Endlich hab ich meine mir eigne Handschrift entdeckt.« Das Letzte sagte er in ernsterem Ton; das war nun echte Herzenssache.
    »So? Das ist jetzt bereits das vierte bis fünfte Mal, daß du deine ›Handschrift‹ wechselst. Erst hast du
à la
Feuerbach gemalt, dann
à la
Böcklin, – jetzt wahrscheinlich
à la
Lenbach?«
    »Spott so lang du willst, aber zuerst sieh selbst. Marsch! Da sind wir schon an meinem Atelier, – komm auf n Sprung rauf, wirst vor Begeisterung auf n Rücken fallen. Solche Farbenakkorde hat noch kein irdisches Aug erblickt, – das ist aus der vierten Dimension!«
    »So!« spottete Karl, während er dem ulkenden und dennoch ernstlich auf sein Urteil gespannten Kameraden in die große Mietskaserne folgte; »gibst du dich auch mit der Modekrankeit, dem Spiritismus ab?«
    »Und wie! Ich hab kürzlich ein Medium bei mir gehabt. Ich sag dir: es gibt ein Jenseits!«
    »Die Medien, die ihr Maler bei euch habt, kennt man; sind eure Modelle.«
    »Nebenher ists auch Modell; das tut ihren übernatürlichen Fähigkeiten keinen Eintrag.«
    »Und ihren natürlichen auch nicht?«
    »Du kannst dich halt noch nicht ins Metaphysische emporschwingen!«
    »Nu ja,« meinte Karl, »Konrad Stern hat mir gestern auch so ein theosophisches Werk geliehen. Ich bin zwar noch nicht überzeugt, kann aber nicht leugnen, daß das Buch einen großen Eindruck auf mich gemacht hat. Vielleicht ist das die Religion der Zukunft!«
    »Ich meine, du willst selbst eine neue Religion gründen?« spottete der Künstler.
    »Das geht nicht so rasch,« lachte Karl, »ich muß erst alle Systeme durchproben, um das Beste von allem zu behalten.«
    »Ja, ja,« rief Grüner. »Du hast alle acht Tage eine neue Weltanschauung entdeckt.«
    »Wie du – eine neue Maltechnik.«
    »Genau so! Wenn du endlich einmal dein System fest begründet hast, sag mirs; ich werde sofort dein begeisterter Apostel.«
    »Ich war schon als kleines Kind ein Philosoph,« bemerkte Karl. »Ich versteckte zuweilen kleine Steinchen im Sand und fragte mich: sind die eigentlich jetzt noch in der Welt? Es sieht sie ja kein Mensch; folglich sind sie auch nicht da; der erste Menschenblick, der auf sie fällt, gebiert sie wieder ganz neu. Was sagst du zu solch kindlichen Einfällen?«
    »Du bist vielleicht ein Genie?« spottete Otto.
    »Alle Kinder sind Genies,« lachte der Andere. »Unser größtes Unglück ist, daß wir aufwachsen. Nur das Unreife ist schön, neu, interessant.«
    Beide waren die schachtartig, vom Glasdach her trüb beleuchtete, unendlich hohe Treppe hinaufgeklommen. Auf jedem Treppenabsatz mündeten vier Türen. Ganz oben unterm Dach lag das kleine Atelier. Sie traten ein.
    Das schiefaufstrebende, breite Fenster ließ nur den grauen Herbsthimmel und etliche Schornsteine erblicken; auf einem dieser Kamine kletterte oben wie eine Katze der schwarze Feger, um seine Kugel herunter zu lassen.
    »Teufel, das gäb n Bild!« rief Otto. »Schau, wie der da naufturnt, – was?«
    »Sind aber keine Farben drin,« meinte Karl trocken.
    »Allerdings, nur schwarz und grau. – Na, so sieh her! was ist das?« Er drehte eine große Leinwand gegen das Licht.
    Karl stand vor

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