Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
war ihr vom Küchenschrank aus auf die Schulter gesprungen und draußen an der Glastüre schellte die neue vierzehnjährige Klavierschülerin. Luise streifte die Ärmel über ihre zarten Arme, um zu öffnen, Emma ging, mit dem Kater auf dem Rücken, an ihren Schreibpult. Dort sann sie längere Zeit, immer den Kater auf dem Rücken, vor sich hin. Die Gefühle, die sich im Busen ihres jungen ›Kollegen‹ zu regen begannen, behagten ihr gar nicht. Luise hatte recht. Sie mußte hier einen tüchtigen Dämpfer auf die hochschwingenden Saiten drücken.
Jetzt setzte sich Luise mit der ›höheren Tochter‹ vors Klavier; Emma sah von ihrem Stuhl aus gerade das krampfhaft-starr auf die Noten geheftete Kindergesicht.
Welch öde, nüchterne Nachmittagstimmung! Die Dichterin fand nicht den richtigen Schwung, um an ihrem neuen Roman weiter zu schaffen. Und doch! in dieser Öde lag auch etwas. Die Nüchternheit enthält auch ihre grau-melancholische Poesie; in diesem schlaffen Unvermögen, diesem Gefühl müder Gleichgiltigkeit gegen die Schläge des Schicksals, lag eine süße, wollusttrunkne Todessehnsucht. Draußen vorm Fenster weinte Blatt auf Blatt von den schwermutgebückten Sträuchern auf die feuchte Erde; das Weinlaub am Spalier nahm eine hektische Fieberröte an.
Dort im Nebenzimmer hackte die Hand der Vierzehnjährigen stümperhaft eine Etüde herunter. Wie unvollkommen doch das Leben ist, dachte Emma seufzend; überall nur Halbes, nur Bruchstücke. Wird es auf fernen Sternen einst besser werden?
Sie sah gerade zwischen den hohen, finsteren Häuserwänden ein kleines Stückchen blauen Himmels. Die sterbensmüde Herbstsonne lächelte wehmütig herunter in das verkümmerte Hausgärtchen, das zwischen den Wänden des philisterhaften Geschäftshauses schlummerte, wie die Leiche eines Kinds im Sarge. Und sie sollte ja arbeiten, schreiben fürs tägliche Brot. Auf! spanne deine Gehirnfibern an, arme Seele, suche nach Bildern, ermattete Phantasie! Wie unglücklich sie sich heute fühlte! . . . was den Lesern ein Fest sein sollte, – ihr ward es zur qualvollen Arbeit.
Es war ihr ganz recht, daß es jetzt draußen schellte und sie ein Kollege, Friedrich Schnätz, besuchte. Das brachte sie in bessere Stimmung. Schnätz schrieb Schauerromane fürs Volk, schreckliches Zeug, für das er aber im Monat drei- bis vierhundert Mark bekam. Er sah heruntergekommen aus, etwa wie ein Advokatenschreiber, hatte dachstubenmäßige Manieren, war mehr Geschäftsmann als Künstler und schimpfte neidisch auf alle Emporkömmlinge der Poesie. Er hatte sich eine eigne Theorie zurechtgelegt: er schreibe für den ›normalen‹ Geschmack, die Kunstdichter für den perversen. Alle höhere Kunst sei abnorm. Später kam noch ein pensionierter Amtsrichter, Meißel, der sich auch der Poesie ergeben. Er trug als Lebensaufgabe ein vorsintflutliches Epos mit sich herum, in dem er die Planeten, Fixsterne und Milchstraßen nur so aus der Tasche zog, als könne man sie sich sofort warm aufs Butterbrot streichen oder als Zigarren unter der Nase verdampfen.
Emma braute einen starken Kaffee, ließ Kuchen holen und machte auf reizende Weise die Wirtin. Besonders der arme Schauerromanfabrikant sprach dem Kuchen so stark zu, als habe er seit drei Tagen nichts mehr in den Magen bekommen. Der Kaffee machte ihn immer reizbarer, immer verbissner und schließlich entdeckte er, daß nur Sudermann ein wenig Talent besaß, weil er eine ›brillante‹ Technik hatte . . . Sonst war die ganze moderne Litteratur für ihn nicht mehr wert, »als dieser Kaffeesatz«!
4.
Als Karl am anderen Tag um 12 Uhr aus der Schule kam, begegnete ihm sein Freund Otto Grüner, der bereits 25 Jahre alte Kunstmaler.
Otto war ein langaufgeschossener Mensch mit dünnen roten Haaren auf dem Schädel. Sein Gesicht war so stark von Sommersprossen besteckt, daß es beinahe, statt weiß, goldgelb aussah. Um seine Häßlichkeit zu vollenden, hatte ihn die Natur noch mit einem im Nacken rot aufgeschwollenen, von kleinen Geschwüren bedeckten Hals begabt; aber sie war dabei doch so gnädig gewesen, ihm den Vorzug der Kröte zu verleihen –: sehr schöne, intelligent und herzlich blickende Augen, aus denen Talent und Herzensgüte strahlten, fesselten so sehr, daß der Beschauer die übrigen Gesichtsfehler kaum bemerkte. Dazu kam ein eigentümliches, harlekinhaftes Betragen, das er sich als Künstler auf der Akademie angeeignet hatte. Mit Hilfe seiner an Galgenhumor streifenden
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