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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Verwirrung zu bringen. Welche Macht ist doch das Weib in der modernen Gesellschaft! dachte sie; wenn auch meist eine sehr dumme, schädliche Macht. Sie ist die stille Nebenregierung im Staat; sie ist der glühende Moloch, dem die Jugend ihre Ideale opfert, das Mannesalter Gesundheit, Geld und Gut, das Greisenalter die letzte Kraft.
    »Sie halten also etwas von dem Talent meines Sohnes?« unterbrach jetzt Körn das Schweigen.
    »Wenn er sich so weiter entwickelt,« versetzte Emma, »wenn er nicht etwa stehen bleibt, – wie das bei solchen Genies leider oft der Fall ist, erwarte ich das Höchste von ihm.«
    »Ja« meinte der Vater, »ich habe kürzlich seine Novelle in der Litterarischen Wacht gelesen. Wirklich sehr gut! Wenn nur sein Charakter fügsamer wäre! Ich glaube, er liebt mich nicht!« setzte er sinnend hinzu.
    Emma ward von diesem Gefühlsausbruch bewegt. »Dasselbe behauptet er – von Ihnen!« sagte sie.
    »Was? Unsinn!« brummte Körn. »Was bildet sich der Mensch ein! ich werd mein Kind nicht lieben?«
    »Vielleicht zeigen Sie ihm Ihre Liebe nicht; oder nicht auf die richtige Weise? Solche Talente wollen auf besonders seine Weise behandelt sein.«
    »Da haben Sie recht«, gestand Körn zu.
    »Solche überempfindliche Naturen,« fuhr sie fort, »ziehen sich gleich trotzig in sich selbst zurück, wenn man sie im Geringsten rauh anfaßt.«
    »Ja, aber das muß doch auch manchmal geschehen!« warf er ein. »Wenn Tadel notwendig ist.«
    »Es kommt darauf an: wie getadelt wird,« sagte sie mit ganz leisem Vorwurf, aus dem Körn erkannte, daß sich sein Sohn bei Emma beschwert hatte.
    »Ja, es ist wahr,« gestand er ein, »wir verstehen uns schwer, ich und Karl. Ich bin ein Feind jeder Art von Sentimentalität; mein Sohn ist nun aber einmal, wie es scheint, – eine Schmachtlappennatur und verlangt, daß man ihn wie ein Frauenzimmer behandelt.«
    »In seinem Alter, Herr Direktor!« entschuldigte sie. »Jeder deutsche Jüngling macht eine Wertherperiode durch. Versetzen Sie sich in seine Lage! Die alten religiösen Vorstellungen hat er über Bord geworfen; nun sucht er nach einer neuen Weltanschauung, findet keine die ihm genügt und verfällt deshalb einem schwärmerischen Weltschmerz, einer unbestimmten Sehnsucht. Infolge seiner – ich darf wohl sagen: genialen Veranlagung wird nun diese Schwärmerei, diese Sehnsucht nach dem Unendlichen, die selbst die Nüchternen einmal ergreift, bei ihm ins Ungemessene gesteigert. Sein überzartes, ja krampfhaft sensibles Nervensystem hält diesen Kampf kaum aus; es erbebt wie die Saiten einer morschen Harfe im Sturm, es verlangt nach einem liebevollen, weichen Entgegenkommen . . . Findet ers nicht, dann steh ich nicht dafür, daß die überspannten Saiten nicht reißen . . .«
    »Sollte hier nicht viel mehr Strenge am Platz sein?« wendet der Pädagoge ein. »Festigkeit, die allein auch ihn fest machen kann?«
    .,Um Gotteswillen nicht!« versetzte sie. »Durch Strenge machen Sie ihn immer trotziger, höhnischer, kälter; stürzen ihn in Verzweiflung, wohl gar . . . in Verbrechen!«
    »Verbrechen!« stieß Körn ärgerlich heraus. »Wie kommen Sie darauf!«
    Sie schwieg einen Augenblick. »Wissen Sie nicht,« begann sie dann, »daß Genie, Wahnsinn und Verbrechen – miteinander verwandt sind?«
    Er schüttelte misbilligend den Kopf. Dann sagte er: »Schließlich muß doch er sich in diese Welt fügen! nicht umgekehrt. Sein Eigensinn müßte gebrochen werden, seine Gefühlsseligkeit durch strenge Zucht ein Rückgrat erhalten.«
    »Daß er sich ohne Weiteres in die Welt füge sollten Sie doch nicht verlangen,« meinte Emma. »Dazu ist er viel zu bedeutend. Eine solche Herrschernatur will sich die Geister unterwerfen und es gelingt ihm ja auch, sich überall Respekt, ja Furcht zu verschaffen. Er meint es deshalb doch gut mit den Unterworfenen; er sucht sie zu sich hinanzuziehen. Sie sehen das ja an seinem Freund Konrad Stern und an Andern, die er beherrscht und für deren geistiges Leben er Opfer bringt. Er hat diesem Konrad schon mindestens für fünfzig Mark Bücher geschenkt. Seinen Eigensinn brechen Sie nie durch Strenge, weil er eine notwendige Bedingung seiner Veranlagung ist. Jeder hat die Fehler seiner Tugenden. Seine übermäßige Gefühlsseligkeit wird sich im Treiben der Welt schon von selbst verlieren; rauben können Sie ihm sie nicht. Durch Strenge wird er sich nur noch mehr in sich selbst zurückziehen, wird Sie für hartherzig halten und – einen

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