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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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entschiedenen Haß gegen Sie hegen!«
    Körn sann vor sich hin. Er mußte sich gestehen, daß ihm, weil er seine Frau nicht mehr liebte, auch deren Kinder gleichgültiger geworden waren. Die Kinder intriguirten ja auch gegen ihn, standen stets im Streit auf Seiten der Mutter.
    »Ich danke Ihnen,« sagte er jetzt. »Ich glaube, Sie haben in Manchem recht; ich habe ihn vielleicht bisher falsch behandelt.«
    »Ich habe stets die Beobachtung gemacht,« bemerkte sie, die Worte Karls verwendend, »daß sich gerade die Menschen, die durch Bande des Bluts direkt auf einander angewiesen sind, am allerwenigsten verstehen. Wir können einen Gegenstand, der uns zu nahe vorm Auge steht, nicht so gut erkennen, wie einen, der weiter von uns weggerückt ist.« Er gab ihr recht und sie fuhr fort: »Auch scheint es in der Natur der Liebe zu liegen, daß sie, wenn sie Liebe bleiben soll, ihr Objekt frei wählen muß; sobald sie aus Pflicht in Tätigkeit zu treten gezwungen werden soll, – verwandelt sie sich in Haß.«
    Körn hatte gerade noch Zeit sie mit einem ganz bestürzten Blick zu prüfen, als Karl eintrat. Meint sie mein Verhältnis zu meiner Frau? fragte er sich, wendete sich aber sofort dem Sohn zu und sagte, in einem zwischen schulmeisterlicher Strenge und väterlicher Milde schwankenden Ton: »Komm näher.«
    Emma erkannte sofort an diesem Ton, daß Körn niemals völlig den Schulmeister im Verkehr mit dem Sohn ablegen konnte und daß daher hauptsächlich das Familienzerwürfnis stammte.
    Karl war beim Anblick Emmas zurückgeprallt. Dann faßte er sich und trat errötend näher, wobei auf seinen sonst so professoral-ältlichen Zügen eine kindliche Freude leuchtete. Als er sie nun begrüßte, war dies junge Greisenantlitz wirklich hübsch und frisch, gestand sich Emma.
    »Fräulein Dorn«, fuhr der Direktor, wieder in seinem Lehrerton fort, »hat für dich gehandelt. Sie hat bei Herrn Dr. Simmer persönlich ein gutes Wort für dich eingelegt, das du eigentlich nicht verdienst. Aber, wie dem nun auch sei, – man ist dem Fräulein zu großem Dank verpflichtet.« Der Vater beobachtete dabei scharf das Benehmen seines Sohns, konnte aber nichts entdecken, was ihm das Verhältnis der Beiden hätte verdächtig erscheinen lassen. Karl war nach seinem Erröten allerdings bleich geworden, aus seinem Blick sprach aber vollkommene Unbefangenheit, in seinem Verhalten zeigte sich sogar die süße Jugendtölpelei des Unerfahrenen.
    Emma begrüßte ihn mütterlich-gönnerhaft; ihr gutmütiges Lächeln flößte dem Schulmann, zu seinem eignen Erstaunen ein merkwürdig inniges Gefühl ins eingetrocknete Herz, es blitzte ihm wie ein neues Verständnis für weibliche Reize durch die Seele. Es kam ihm vor, als sei diese Jahre hindurch sein Busen eine staubige Apothekerschublade gewesen, in deren muffigem Dunkel die Liebesgefühle wie vertrocknete Kräuter geschlummert; jetzt war unterm Einfluß eines warmen Taues, eines erquickenden Sonnenstrahls, in den vergilbten Blättern, den abstrakten Begriffen, wieder ein geheimes konkretes Leben erwacht.
    Über sich selbst ärgerlich, setzte er nun seinem Sohn auseinander, daß der Beleidigte persönliche Abbitte verlange. Zu seiner Überraschung schwieg Karl.
    Nun legte sich Emma ins Mittel. »Ich kann mir denken,« sagte sie, »daß es Ihnen widerstrebt einen Mann um Verzeihung zu bitten, dessen Weltanschauung und Kunstansicht nicht die Ihrige ist . . .«
    »Sehr widerstrebt mir das!« fiel ihr der junge Mann ins Wort.
    »Dann bedenken Sie,« fuhr sie fort, »daß Sie, wenn Sie auch sachlich vielleicht im Recht waren, doch zu scharfe Ausdrücke gebraucht haben. Man kann alles sagen, was man auf dem Herzen hat; nur darf man nicht in jugendlichem Überschwang sich hinreißen lassen, einen anders Denkenden, oder einen mittelmäßigen Poeten gleich für einen Verbrecher zu halten, der öffentlich gebrandmarkt werden müßte . . .«
    »Hörst du, was Fräulein Dorn sagt?« rief der Direktor.
    »Ich halte nun aber den Herrn Dr. Simmer für einen Heuchler!« platzte Karl naiv heraus.
    Der Direktor gab zwar im Stillen seinem Sohn nicht unrecht, sagte aber: »Heuchler! Woher weißt du das? Meinst du, deine Menschenkenntnis sei unfehlbar? Und wenn er es wäre, – was geht das dich an? Er ist es aber nicht. Er ist streng religiös.«
    »Überdies,« gab Emma begütigend zu bedenken, »ist er Ihr Lehrer.«
    »Sonderbare Logik!« flüsterte Karl lächelnd.
    »Gar keine sonderbare Logik!« tadelte Körn.

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