Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Ärger, Verdruß, Prozesse!«
>Die Dichtkunst ist ein Moloch!« versetzte Emma. »Wen sie einmal erfaßt hat, den verzehrt sie. Sieh, ich kann nicht anders schreiben als das Herz mir gebietet und wenn ich zehn Prozesse bekäme. Was ich empfinde, muß aus mir heraus.«
»Aber wie wird man jetzt über dich herfallen, hier in der Vorstadt? Du wirst deine Schülerinnen verlieren, ich die meinen!«
»So steh ich halt allein im Leben!« seufzte Emma. »Ich würde dir sogar raten, liebes Kind, zieh dich bei Zeiten von mir, der verworfenen Person, zurück, damit man nicht mit Fingern auf dich deutet.«
Luise mußte in ihrem Schmerz lächeln. »Was sagst du?« rief sie vorwurfsvoll. »Ich soll dich jetzt verlassen, wo du mich am nötigsten brauchst?«
»Wenn ich dir aber schade? Eine so sittenlose, giftumsichspritzende Kröte!«
»Geh, sei still! Dein Schicksal ist das meine! Wenn du zu Grund gehst, will ich auch nicht länger leben!«
Emma umarmte die Schluchzende. »Gute Seele,« sagte sie ergriffen, »so müssen wir halt sehen, wie wir uns zusammen durchs Leben schlagen . . . Ich habe noch Hoffnung. Es werden sich ja einzelne überprüde Personen von uns zurückziehen, doch nicht alle; beruhige dich!«
12.
Am andern Tag stand es in allen Zeitungen, daß Emma Dorns Roman ›Finstere Dämonen‹ beschlagnahmt worden sei. Daraufhin wurden die Buchhandlungen förmlich gestürmt. In den Leihbibliotheken ward der Roman stundenweise ausgeliehen. Beim Verleger konnten nur etwa vierzig Exemplare eingezogen werden, die übrigen waren bereits in der Welt zerstreut.
Im Lehrerzimmer des Gymnasiums verursachte dieses Ereignis eine lebhafte Debatte. Dr. Köhler nahm das Buch in Schutz. Es sei durchaus nicht unmoralisch, sondern ehrlich. Der Dichter habe so gut wie der Naturforscher das Recht, über jeden Gegenstand, über alles Menschliche, seine Meinung zu äußern; Untersuchungen, Beobachtungen anzustellen: es komme nur darauf an, wie er seinen Stoff darstelle. Man dürfe auch nicht einzelne Stellen herausgreifen, sondern müsse sie im ganzen Zusammenhang mit dem Kunstwerk prüfen.
Der Theologe Dr. Simmer hütete sich sein Denunziantentum zuzugeben, obwohl man ihm ein Geständnis nahelegte, ja es ihm fast ins Gesicht sagte, daß er den Staatsanwalt in Bewegung gesetzt. Doch bestritt er die Ansichten Köhlers; es gebe gewisse Dinge, die ewig von der dichterischen Darstellung ausgeschlossen seien. Köhler erlaubte sich allerlei Seitenhiebe auf pfäffische Heimtücke und philisterhafte Heuchelei, so daß ihm Dr. Simmer gereizt sagte: »Wir wissen es ja Alle, – Sie haben keine Religion!«
»Ich hab nicht den kalten Aberglauben, den Sie Religion nennen!« versetzte ihm Köhler zornig. »Ich habe ›keine Religion‹ – aus Religion!«
Der Direktor legte sich nun ins Mittel. Zur allgemeinen Verwunderung nahm auch er das Buch in Schutz; natürlich auf eine sehr vorsichtige diplomatische Weise, so daß seine Verteidigung die Gefühle des mutmaßlichen Angebers unmöglich verletzen konnte.
Später zog der Direktor den Dr. Simmer in eine Fensternische und teilte ihm mit, daß Emma Dorn ihn besucht habe und daß sein Sohn Karl ihn, den Dr. Simmer, feierlich um Verzeihung bitten werde. Dr. Simmer erklärte sich bereit die Entschuldigung des Beleidigers in Empfang zu nehmen; nicht aus Ehrbegier, um seinen Gegner zu demütigen, – das liege ihm gänzlich fern! – nur, um ihn zur Reue zu bewegen, um seinen Charakter zu sittlicher Läuterung empor zu führen.
Dann flüsterte ihm der Direktor lächend zu: »Gestehen Sie, – Sie haben die Finstern Dämonen denunzirt?«
»Aber ich bitte Sie, Herr Direktor!« gab er, seine grünen Schielaugen verdrehend, zurück, »was denken Sie denn von mir! ich tadle wohl, aber ich vernichte nicht.«
Nun ging der Direktor diplomatisch zu Werk. »Sagen Sie mirs nur ganz offen!« heuchelte er. »Ich bin ja auch wesentlich auf Ihrer Seite; ich verdamme ja das Buch wie Sie, nur darf man das nicht so öffentlich sagen. Wenn Sie die Behörde aufmerksam gemacht haben. so haben Sie ein gutes Werk getan; ich würde diese hochmoralische Handlungsweise in einem Bericht an die Schulbehörde lobend erwähnen . . .«
Dr. Simmers Augen begannen nun bei dieser Aussicht zu strahlen, – er ging in die Falle. »Ja, Ihrem Scharfsinn bleibt doch nichts verborgen! so will ichs nur gestehen: ich hab es allerdings für meine Pflicht gehalten, dieses schändliche Machwerk dem Staatsanwalt vorzulegen!«
Der
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