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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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wo sie hin soll.«
    »Du wirst schweigen!« eiferte der bestürzte Direktor. »Sie darf es nicht erfahren.«
    »Wie? Sie muß es doch erfahren.«

»Ja, ja, aber . . . nicht auf diese Art.«
    »Ja wie etwa denn?«
    »Durch den Arzt.«
    »Ah so! ihr wollt sie gewiß in eine Falle locken?«
    Der Direktor geriet in die größte Bestürzung, da unten vorm Haus eine Droschke vorfuhr. Dieser Droschke entstieg Dr. Müller. Körn stürzte schreckensbleich die Treppe herab auf ihn zu.
    »Der ganze Plan ist vereitelt!« rief er außer sich dem Hausfreund zu. Beide hatten ausgemacht, daß Katharina zu einer Spazierfahrt eingeladen werden sollte, – die Fahrt sollte nach Neu-Wald-Ruh gehen, einer Privat-Nervenheilanstalt in der Nähe der Hauptstadt.
    Als beide in sehr gedrückter Stimmung die Treppe herauf kamen, hörten sie schon vor der Glastür die kreischende Stimme Katharinens, der Karl mitgeteilt, was ihr drohe.
    »Das ist entsetzlich,« flüsterte Dr. Müller, »daß wir hier nicht einschreiten können! Es gibt halt gewisse geistige Abnormitäten, die wir noch nicht geradezu Krankheit nennen dürfen, die aber doch eine ärztliche Behandlung verdienten. Deine Frau befindet sich in solch einen Zwischenstadium.«
    Kaum waren sie eingetreten, so kam ihnen die Frau Direktor mit eisiger Ruhe entgegen, denn sie hütete sich ihre Wut merken zu lassen, die der Arzt ja leicht sofort als Krankheitssymptom hätte deuten können.
    »Ich gehe nicht!« sagte sie mit höhnischem Lachen. »Ich verlange, daß noch zwei Psychiater zugezogen werden.«
    Nun trat Karl auf den Doktor zu und zwar mit einer solch verhaltenen Wut im Auge, daß der Arzt es für geraten fand sich hinter den Direktor zurückzuziehen. »Sie wissen recht gut,« keuchte der Tieferschütterte, »daß Seltsamkeit, Schrullenhaftigkeit, Zerstreutheit, noch lange keine Geisteskrankheit ist. Meine Mama hat recht, daß sie sich weigert. Ihr Zweck ist: sie ein für allemal aus dem Kreis ihrer Familie zu reißen. Papa will sie los sein.«
    »Aber Karl!« legte sich der Direktor mit entrüsteter Miene ins Mittel. »Wie kommst du auf einen so abscheulichen Gedanken? Deine Mutter soll nur für einige Zeit . . .«
    »Die sich zur Ewigkeit ausdehnt!« fiel ihm der Sohn wütend ins Wort. »Daraus wird aber nichts. Ich werd mich in die Öffentlichkeit flüchten; es soll ein Artikel darüber in die Zeitung . . .« Karl geriet in einen solchen Zustand der Aufregung, daß es der Direktor für angezeigt hielt, einzulenken.
    »So beruhige dich doch,« sagte er zu dem jetzt in einen Weinkrampf Ausbrechenden. »Sie soll dann in Gottes Namen hier bleiben . . . obgleich es ihren Zustand verschlimmert!«
    Der Arzt zuckte die Achseln. »Tun Sie, was Sie für gut halten!« stieß er ärgerlich heraus. »Der Arzt hat in solchen Fällen einen schweren Stand. Bis einmal eine Katastrophe ausbricht! Dann glaubt man ihm erst . . .«
    Karl richtete sich auf dem Stuhl empor. »Die ganze Medizin,« rief er empört, »krankt daran, daß sie überall da, wo nur Eigenheiten oder feine Charakterunterschiede vorliegen, gleich Krankheiten sieht. Wo kämen wir denn hin, wenn alle Menschen geistig völlig gleich uniformiert wären?«
    »Nein, Herr Karl,« eiferte der Arzt, »Sie irren. Der Mensch ist bereits schon krank, wenn er in Zorn gerät. Ein ganz gesunder Mensch bleibt stets sanft.«
    »Dann verschonen Sie mich mit dieser Art von Menschheit!« rief der Jüngling. »Eine solche Menschheit wird nie etwas Großes leisten in Künsten und Wissenschaften; sie ist höchstens gut genug, um etwa auf einer Insel im stillen Ozean traumverloren hinzuvegetieren und sich von andern Völkern alles gefallen zu lassen. Ich frage also zum letztenmal: soll meine Mutter von hier weg in eine Anstalt?«
    Die feste Entschlossenheit seines Sohnes imponirte dem Direktor. Er erwiderte nichts, gab aber dem Arzt einen Wink, worauf sich beide zurückzogen.
    Frau Körn fiel ihrem Karl weinend um den Hals und dankte ihm. »Du hast mich gerettet, mein Kind!« schluchzte sie. »Ich werde dir dein energisches Benehmen nie vergessen.«
    »Jetzt gib dir aber auch Mühe, zu leben wie andere Menschen,« ermahnte sie Karl; »sonst werde ich dich nicht zum zweitenmal retten. Du mußt gestehen, deine Handlungen sehen manchmal höchst bedenklich aus.«
    »Ach das weiß ich ja, das weiß ich ja!« klagte sie. »Ich bin halt ein Ausnahmegeschöpf! . . .«
    Den reizbaren Jüngling hatte dieser Vorfall dermaßen angegriffen, daß er

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