Walpurgistag
Polizeiabschnitt 36 in der Pankstraße
»Ihr Verband suppt durch«, hat der Polizist gesagt. »Sollen wir Sie nicht lieber wieder ins Krankenhaus fahren?« Hosch wollte den Kopf schütteln, aber er konnte ihn beim besten Willen nicht bewegen. Sein Schädel schien von eng nebeneinanderstehenden Bauarbeitern mit Presslufthämmern umgeben zu sein, und der ohrenbetäubende Lärm hielt sein nach allen Seiten wegwaberndes Gehirn zusammen wie ein Fassreifen. Eine Straßenwalze, ein Panzer oder Hubschrauber waren nichts dagegen. Es verstärkt sich noch, als er nun, nachdem er endlich das Protokoll unterschrieben hat, aus dem Polizeigebäude auf die Pankstraße tritt und nach seinem Taxi Ausschau hält. Er hat vergessen, wo er es abgestellt hat. Im Umkreis von fünfzig Metern stehen drei hellgelbe Mercedes-limousinen mit Taxischildern. Hosch ist froh, dass er wenigstens noch weiß, wonach er sucht.
Er solle wenigstens das Auto stehen lassen und mit dem Taxi nach Hause fahren, um sich auszuruhen, hat der Reviervorsteher gesagt, nachdem die Befragung ewig gedauert und Hosch losgeschrien hatte, denn der noch junge Beamte war mit dem Computer nicht klargekommen und hatte zwischendurch das fast fertige Protokoll an den Datenorkus verloren. Hosch hat versprochen, mit dem Taxi zu fahren. Er hat natürlich nicht gesagt, dass er der Fahrer sein würde.
Bei der Befragung hat er an nichts anderes denken können als an den unerträglichen Schmerz in seinem Kopf. Beinahe hätte er dem jungen Beamten erzählt, es seien zehn Männer mit Presslufthämmern gewesen, die mit den Werkzeugen abwechselnd auf seinen Kopf gedroschen hätten. Aber er hat noch rechtzeitig tief Luft geholt und das zu Protokoll gegeben, was er bis auf Weiteres
für die Wahrheit hält, nämlich, dass er sich letzte Nacht bei dem Überfall der vier Maskierten auf besagte Kneipe in der Grüntaler Straße in der Toilette verbarrikadiert habe, aber von dem Krummbeinigen, nachdem der die Toilettentür mit einem Tritt seiner Springerstiefel aufgetreten hatte, von hinten gegen, er nehme an, die Heizung gestoßen worden sei. Zwar hätten danach in seiner Brieftasche drei Zwanzig-Euro-Scheine gefehlt, aber sowohl den restlichen Inhalt der Brieftasche als auch Handy und Schlüssel habe er im Krankenhaus ausgehändigt bekommen. Er nehme stark an, der Räuber sei in der Toilette gestört worden, was sich auch dadurch beweisen lasse, dass er, Hosch, kurz aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht sei und gesehen habe, dass sich drei Mädchen über ihn gebeugt hätten, was er allerdings nicht beschwören wolle, hätten die doch auch ausgesehen wie maskiert, nur ihre glockenhellen Stimmen hätten sie als Mädchen verraten. Eines habe ihm mit einem feuchten Tuch über den Mund gewischt. Aus dem Schankraum habe er noch einen durchdringenden Schrei der Wirtin gehört, dann sei er erneut bewusstlos geworden. Den Schrei könne er sich aber auch nur eingebildet haben. Er hat ebenfalls nicht erzählt, dass heute Morgen sein Fahrrad neben der Krankenwagenauffahrt des Krankenhauses gestanden hatte. Er hatte es sofort erkannt, auch wenn im Vorderrad eine Acht war. Er konnte es sich beim besten Willen nicht erklären, wie es da hingekommen war. Also ließ er es weg.
Seine Unterschrift unter dem Protokoll hat ihn endlich aus der Obhut der Polizei, nicht aber aus seiner Verletzung entlassen. Die Grüntaler Straße ist gleich um die Ecke. Nie wieder wird er diese Kneipe betreten, auch wenn er die Wirtin noch so sehr mag.
Eigentlich könnte er sich in seinem Schmerz baden. Ihn auskosten. Sich in die frühlingsblättergrüne Bettwäsche eines Krankenhauses legen und sich verwöhnen lassen. Die besorgten Blicke der Schwestern genießen. Und sicher ließe es sich sogar mit etwas Unglück an der Verletzung sterben. Endlich hat er mal eine Krankheit, die nicht eingebildet ist. Und gerade jetzt passt es ihm nicht.
Eigentlich wäre er doch der ideale Simulationspatient für die Studenten der Charité. Spielend kann er sich Krankheiten ausdenken und sie so überzeugend darstellen, dass jeder Arzt ihm glaubt – bis zur Feindiagnostik. Allein dreimal hat er es wegen akuter Blinddarmentzündung ins Krankenhaus geschafft, einmal sogar fast bis auf den OP-Tisch. Seinen Blinddarm hat er heute noch, denn spätestens nach der Blutuntersuchung ließen die behandelnden Ärzte ihn ohne Hilfe von der Trage klettern und schickten ihn nach Hause. Bald verschwanden dann auch die Bauchschmerzen und machten anderen
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