Walpurgistag
Erstbesiedlung.
Ilse: Na, so ganz arm war Käthe Kollwitz ja nun auch nicht. Die hat schließlich im Vorderhaus gewohnt, während unsereins parterre im zweiten Hof lebte. Ich war ja noch Patientin von ihrem Mann. Ein feiner Doktor. Der hat meine Mutter mit Madame angesprochen. Die ist hinterher durch die Weißenburger geschwebt, und wenn sie noch so malade war. Die hat nach ’m Krieg immer gesagt: »Det is Jerechtigkeit, det man die Straße nach den beiden benannt hat. Solche Menschen, die sich nicht zu fein waren, unter uns zu wohnen.« Aber was red ich, ihr hört mir ja gar nicht zu.
Trude: Du wiederholst dich.
Gerda: Jetzt ’n Kaffee.
(Sie treten an eine der Buden, die in einer langen Reihe an der Wörther Straße stehen. Stalin pinkelt an einen Baum.)
Trude: Haben Sie auch wat andret als Latte macke?
(Die Verkäuferin, die sie erst nicht versteht, zeigt Schließlich auf eine Tafel. Es gibt Cappuccino, Espresso, Espresso double, Latte macchiato, to go or not to go.)
Trude: Ick dachte so an DDR-türkisch. Wat Mädels? Mit viel Kondensmilch.
(Die Verkäuferin guckt verständnislos.)
Trude: Also, passen Se uff, Sie nehmen jetzt so ’n Becher, den größten. Da tun Se zwei Messlöffel Kaffee rein. Und denn kochendet Wasser druff. Det ist DDR-türkisch. Wieder wat jelernt.
(Die Verkäuferin tut, wie ihr geheißen.)
Ilse: Man merkt, dass du Hortnerin warst.
Trude: Ne janz harte. Bei mir sind noch jedem Rabauken die Tränen jekommen. Manchmal sehe ick sie noch auf der Straße, sie werfen sich, wenn se mich entdecken, stante pede in den Staub und winseln um Gnade.
(Die Verkäuferin reicht den Kaffee rüber. Trude zahlt und die drei stellen sich an einen der Tische, wo sie in ihren Tassen rühren.) Gerda: Also, ich hätt’s mir hier aufregender vorgestellt.
Trude: Det wird noch. Lasst uns die schöne Blasmusik jenießen. Und später jehn wir dann der Masse nach. Die zieht’s zur Bambule. (Trude holt den Schlehenlikör und drei Schnapsgläser aus dem Beutel heraus und gießt ein. Sie prosten sich zu und drehen sich zur Bühne. Dort stehen zwanzig leidlich junge Leute in rot-schwarzer Kleidung und mit zumeist goldenen Instrumenten. Sie sind laut blasen oft am richtigen Ton vorbei und haben leichte Rhythmusschwankungen, was die drei Frauen nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie zwar in der Volksbildung arbeiteten, nicht aber als Musiklehrerinnen.)
Trude (liest): Bolschewistische Kulturkapelle Schwarz-Rot.
Ilse: Nie gehört.
Gerda: Da steht Kurkapelle, nicht Kulturkapelle.
Trude: Ist Bolschewismus nich verboten heutzutage?
Ilse: Ist doch schön die Musik, oder? Hört man ja nicht mehr so oft. Erinnert mich an die kommunistische Blaskapelle, die’ 29 im Saalbau Friedrichshain gespielt hat. Allerdings waren die noch ein bisschen zackiger.
Trude: Ick gloob, die machen sich lustig über Blasmusik, sonst hätten die ’ne andre Verkleidung. Echte Blasmusiker sehn anders aus, die haben Hüte mit Puscheln auf und Knickerbockerhosen an. Ilse: Hatten die im Saalbau damals ooch nich.
Trude: Die hatten Rotfrontkämpferbunduniformen. Na, die hatte ick aber ooch jefressen. Und zwee Jahre später liefen se in SA-Uniform rum. Stalin aus, komm jetzt mal sofort bei Fuß, du altes Fusseltier.
Gerda: Hört doch mal zu, der Große da rechts mit dem Horn der, der erklärt was.
Ansager: Nach diesem Strauß beliebter Melodien kommen wir nun zu unserem letzten Lied. Nach acht, das wurde von unseren Freunden und Helfern angekündigt, wird hier hart durchgegriffen. Sie wissen ja, und wir haben es auch schon in unserem Lied von der unruhevollen Jugend künstlerisch ausgedrückt, die Jungen möchten sich die Stirn ein wenig an den Verhältnissen reiben, wir sind da nur die Vorgruppe und verschwinden in einen gemütlichen Abend. Unser letztes Lied ist aus der Protestbewegung der späten achtziger Jahre geboren. Nach den apokalyptischen Visionen der britischen Rockmusik begann sich die Protestbewegung zu spalten. Die einen versuchten, durch das Flechten von Blumenkränzen und den Anbau von Hanf und Tulpen eine sexuelle und gewaltfreie Ekstase zu erzwingen. Sie mussten in den geschlossenen Anstalten des Kapitals verstummen. Andere versuchten, durch die Organisation von Großveranstaltungen das leider unter ihrem intellektuellen Niveau befindliche Proletariat für ihre Sache zu gewinnen, um dann von der arbeitenden Weltbevölkerung schnöde im Stich gelassen zu werden.
Gerda: Was faselt der da, ich denke, das soll eine
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