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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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sehr langsam mit einem Gehwägelchen die Straße überquert. »Nichts Ernstes, nur gestürzt und ein kleines Loch in den Kopf geschlagen. Und was fehlt dir?«, fragt Hosch. »Nichts«, sagt der Mann und hält sich an der Schlaufe über seinem Kopf fest, als Hosch kurz vor der Kreuzung Prenzlauer Allee leicht ins Schleudern gerät. »Ich bin heute in der Charité als Schauspieler gebucht.« – »Zur Belustigung kranker Kinder, so mit roter Clownsnase und zu großen Schuhen?« – »Nein, ich spiele einen Simulationspatienten. « – »Einen was?«, fragt Hosch. Der Graugesichtige lacht. »So reagieren alle, denen ich das erzähle. Das haben sie an der Charité eingeführt, um die Studenten ein bisschen mehr mit dem Leben bekannt zu machen.« – »Und wie muss ich mir das vorstellen? Du gehst da jetzt rein, stürzt auf die Erde und hast ein Stück Seife im Mund, die dann mit Spucke zusammen Schaum bildet? Und die Studenten müssen rauskriegen, was du hast?« – »Man bekommt ein paar Tage vor dem Termin einen Zettel, auf dem die Krankheit steht und mit welchen Symptomen sie sich äußert, und dann übst du zu Hause.« – »Und welche Krankheit hast du?« – »Ein Aneurysma.
« Das Wort höre ich heute schon zum zweiten Mal, denkt Hosch und versucht, sich am Rosenthaler Platz rechtzeitig vor der Spurverengung einzufädeln. Hinter ihm hupt es. Hosch sieht vor sich zwei Opel Corsa in Pink, wo eigentlich nur einer sein dürfte. Einen halben Kilometer, denkt er, das werde ich wohl noch schaffen. Der Arzt, der ihn heute Morgen nur widerwillig gehen lassen wollte, hat davon gesprochen. »Es kann immer passieren, dass sich durch die Gewalteinwirkung auf Ihren Kopf ein Aneurysma bildet, und dann fallen Sie um und sind tot. Besser wäre es, Sie blieben zwei bis drei Tage zur Beobachtung bei uns.« Aber Hosch hat nicht auf ihn gehört. » Was hat ein Aneurysma überhaupt für Symptome?« – »Das ist unterschiedlich, je nach Form und Lage. Ich soll ein Aneurysma spurium darstellen, das sogenannte falsche Aneurysma infolge der Verletzung einer Gefäßwand am Kopf. Man hat starke Nackenkopfschmerzen und zeitweise diffuse Sehstörungen. Man sieht zum Beispiel Farbenringe. Das Problem ist, dass das manchmal von unerfahrenen Ärzten als Migräne abgetan wird, und dann bist du einsdreifix tot.«
    Hosch ist froh, dass sie an der Chausseestraße im Stau stehen, denn seine Beine zittern so stark, dass er Angst haben muss, die Gewalt über sein Fahrzeug zu verlieren. Bild ich mir das nur ein, oder sehe ich Farbenringe, denkt Hosch. »Also wenn mir nicht richtig geholfen wird, dann muss ich nach zwanzig Minuten extrem starke Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und vielleicht auch eine Ohnmacht simulieren. Dann ist nämlich meine hirnversorgende Arterie rupturiert, und es kommt zu inneren Blutungen. Ich fall dann ins Koma und bin bald tot. Das ist aber meistens nur, wenn es angeboren ist.« Hosch will davon nichts mehr hören, es kommt ihm sowieso vor, als versuche er, unter Wasser auf Geräusche zu hören. Das Taxameter springt auf 9,50 Euro. Sie kommen in der Hannoverschen Straße nur noch in extrem langsamem Schritttempo voran. Hier beginnt das Nadelöhr in den Westen, eine Straße mit lauter Baustellen, schon seit Jahren.
    »Und was spielst du sonst so, wenn du nicht Aneurysmen oder Herzinfarkte simulierst?« – »Mal Theater, mal Film. Aber
es gibt ja keine guten Drehbücher. Aufs Theater habe ich auch keine Lust. Zu schlecht bezahlt. Im Moment schreib ich einen Roman.« Hosch lehnt sich in seinem Sitz zurück und schließt kurz die Augen, macht sie aber gleich wieder auf, weil der Trubel da drinnen schlimmer ist als der auf der Straße. Hosch will gar nicht wissen, wovon der Roman handelt.
    »Na, Alter, soll ich dich nicht gleich mit nach oben nehmen, du bist so blass.« – »Nee, nee, geht schon.« – »Lass dich mal durchchecken. Wird wohl hoffentlich kein Aneurysma sein.« Der Graugesichtige lacht. Das Taxameter springt auf 10,20 Euro. »Eine Chausseestraße, zwei Personen mit Kindersitz, Chausseestraße«, knattert die Frau vom Taxifunk. Eine Stimme ist hier zu viel. Hosch stellt den Funk leise. » Weißte was? Ich lauf den Rest. Sind ja nur noch hundert Meter.« Hosch zwängt sich in eine Lücke am rechten Straßenrand. »Zwölf und ’ne Quittung, bitte.« Hoschs Hände zittern, als er das Wort Stadtfahrt schreiben will. Der Simulationspatient winkt beim Aussteigen mit dem Papier. »Man sieht sich.« Das Zuklappen der

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