Walter Ulbricht (German Edition)
Leistungsfähigkeit des jeweiligen politischen Systems« sei, er maß ihm in diesem Sinne keine »staatspolitische Bedeutung« zu.
Als ich heiratete, schickte er mir und Renate Glückwünsche. Und weiter hieß es: »Lieber Genosse Schur! In Deinem bisherigen Leben hast Du bewiesen, dass Du ein treuer Sohn unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates bist. Dein bescheidenes und offenes Auftreten, Deine faire sportliche Haltung haben Dir auch in der internationalen Sportöffentlichkeit uneingeschränkte Achtung eingebracht. Zu jeder Zeit bist Du als Vertreter des neuen sozialistischen Deutschlands aufgetreten. Mit Recht wurdest Du im vergangenen Jahrzehnt zur populärsten Sportlerpersönlichkeit der DDR. Deshab sieht die Jugend in Dir ihr großes Vorbild. Wir wünschen Dir, lieber Täve, und Deiner Gattin auf Eurem gemeinsamen Lebensweg von ganzem Herzen gute Gesundheit und weiterhin große Erfolge und viel Freude im sportlichen und persönlichen Leben.«
Ulbrichts Zurückhaltung bei der Instrumentalisierung des Sports durch die Politik erlebte ich auch bei einer Runde mit Sportlern und Funktionären aus West und Ost. Seit Beginn der 50er Jahre kamen sie alljährlich zu den Oberhofer Gesprächen zusammen. Diese – wie auch andere Gesprächskreise und Begegnungen – waren von der DDR ins Leben gerufen worden und als Versuch gedacht, der wachsenden Spaltung durch Westintegration und Remilitarisierung der Bundesrepublik wirksam zu begegnen. Die Losung »Deutsche an einen Tisch!« sollte uns in der DDR bis in die späten 60er Jahre begleiten.
Walter Ulbricht nahm oft an diesen Runden in Oberhof teil, die sich dadurch auszeichneten, dass jeder sagen und fragen konnte, was ihn bewegte. Einmal vergewisserte sich bei mir ein westdeutscher Sportfunktionär, ob ich denn nicht auch in der Bundesrepublik freundliche Aufnahme finden würde, womit er versöhnlich sagen wollte, dass Kalter Krieg und Sport nichts miteinander zu tun hätten und auf unserem Felde alles sehr gesittet zuginge.
Ja, ich könne mich nicht beklagen, antwortete ich – auch in der Bundesrepublik würde man mir meist sehr freundlich begegnen. Manchmal sogar so freundlich, dass man mir einen Platz in einem westdeutschen Sportverein anbietet und, kehrte ich nicht in die DDR zurück, auch eine recht ordentliches Fortkommen verspricht.
Walter Ulbricht verzichtete auf eine Kommentierung und wechselte behutsam das Thema.
Günter Erbach
In 19 Monaten Bauzeit entstand das größte Stadion der DDR
Günter Erbach, Jahrgang 1928, 1945 Landarbeiter, 1946 SED, Neulehrer, anschließend Studium an der Universität Greifswald, 1949 bis 1953 wissenschaftlicher Aspirant an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1953 bis 1955 Leiter der Zentralen Sportschule Strausberg, 1956 bis 1963 Rektor der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport Leipzig, 1965 bis 1974 Stellvertreter des Staatssekretärs für Körperkultur und Sport, von März 1974 bis 1990 Staatssekretär. Seit 1983 Präsident des deutschen Fußballverbandes der DDR. Günter Erbach verstarb am 4. Juni 2013.
D u hast den größten Teil deines Lebens im sportwissenschaftlichen Bereich gearbeitet. Kannst du dich erinnern, warum die DHfK gegründet wurde?
Ausgangspunkt war das Gesetz zur Förderung der Jugend und des Sports, das am 8. Februar 1950 von der Volkskammer beschlossen wurde. Ulbricht hat es als Stellvertretender Ministerpräsident sehr leidenschaftlich begründet, was wohl auch mit seinen persönlichen Erfahrungen als Arbeitersportler zusammenhing. Mit diesem Gesetz wurde eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, darunter auch die Errichtung einer Hochschule für Körperkultur und Sport.
Am 22. Oktober 1950 erfolgte die feierliche Gründung. Das war eine weitsichtige und richtige Entscheidung, die auch bald von der Bevölkerung als solche wahrgenommen wurde.
Walter Ulbricht besuchte regelmäßig seine Heimatstadt Leipzig. Du warst Aspirant an der DHfK in deren Gründungsphase. Bist du ihm dort begegnet?
Im Sommer 1951 erlebte ich seine erste Visite auf der Baustelle. Zunächst war er in der Friedrich-Ebert-Straße 130, wo die DHfK seit dem Herbst des Vorjahres provisorisch untergekommen war. Die 96 Studenten und 14 Lehrkräfte begrüßten ihn, dann ging es ins Gelände, wo mit dem Aufbau des Sportforums und der Gebäude am Elsterflutbecken begonnen werden sollte bzw. bereits begonnen worden war. Lehrkräfte, Architekten, Verantwortliche des Rates der Stadt und Sportfunktionäre erlebten dabei eine
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