Walter Ulbricht (German Edition)
pro Jahr schaute er in der Anfangszeit vorbei. Am 15. April 1953 war er wieder da und diskutierte fast vier Stunden mit Lehrkräften und Studenten. Dem schloss sich eine weitere Beratung über die Baupläne an. Wie immer gab es zu seinen Überlegungen eine lebhafte Aussprache. Walter Ulbricht erläuterte jedes Mal sehr überzeugend den inneren Zusammenhang zwischen Sport und sozialistischer Gesellschaft. Ihm ging es um die Entwicklung gesunder und gebildeter, willensstarker und zielbewusst handelnder Menschen, wozu die Schule ihren Teil leisten sollte.
Er bot eine Vorlesung neuer Art für Lehrkräfte und Studenten, ein Gespräch über die Bedeutung der Wissenschaft bei der Entwicklung von Körperkultur und Sport. Wissenschaft und Sport, Politik und Sport müssten eine Einheit bilden und auch in der Praxis unserer Arbeit ein Ganzes werden.
»Früher haben wir hier als Jungen Fußball gespielt und im Winter Eishockey, wir sind auf der Elster Schlittschuh gelaufen und alles ohne Anleitung«, erinnerte er sich seiner Leipziger Vergangenheit. »Ein alter Turnlehrer hat uns in den Turnstunden angeleitet. Jetzt sollt ihr, mit guten wissenschaftlichen Kenntnissen ausgerüstet, Sportlehrer unseres neuen Staates werden. So hat sich in unserer Zeit die Situation verändert. Wir brauchen die wissenschaftliche Durchdringung der Körperkultur, um auch im Sport das gute Beispiel für ganz Deutschland zu geben.« In der Folgezeit entstand die Trainerfakultät und wurde das Fernstudium für Körpererziehung eingeführt, übrigens erstmalig in der deutschen Sportgeschichte. Wissenschaftliche Konferenzen über theoretische Probleme der Körperkultur und des Sportes und anregende Lehrbücher folgten.
Im Januar 1954 besuchte Ulbricht erneut die Hochschule. Inzwischen wurden bereits Beziehungen zu ausländischen Einrichtungen geknüpft und deren Erfahrungen ausgewertet und um eigene Beiträge bereichert. Walter Ulbricht förderte dieses Entwicklung aus ganzem Herzen und freute sich mit uns über die ersten Erfolge. Immer wieder forderte er, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf die Qualität der wissenschaftlichen Ausbildung und Forschung lenken sollten.
Gab es in jenen Jahren besondere Themen, die sein Interesse hervorriefen?
Ja. Die Biomechanik hatte es ihm angetan. Im Vorfeld des II. Deutschen Turn- und Sportfestes 1956 hatten wir eine Ausstellung dazu ausgerichtet. Es gab dabei eine politisch und fachlich sehr interessante Aussprache, an der sich neben Walter Ulbricht vor allem Alfred Neumann beteiligte. Der Berliner »Ali« Neumann, einst »Fichte«-Sportler und Sportlehrer im sowjetischen Exil, interessierte sich ebenfalls für unsere Forschungen.
Solche Unterstützung half, in wenigen Jahren eine voll ausgebaute wissenschaftliche Lehr- und Forschungsstätte zu schaffen. Der bekannte britische Journalist Sefton Delmer (1904-1979) schrieb annerkennend ins Gästebuch: »Ich sehne den Tag herbei, an dem in Großbritannien eine solche Hochschule entsteht. Sie ist ein Beispiel für uns alle.«
Mitte der 50er Jahre wurde das Leipziger Zentralstadion errichtet, es war damals die größte Sportanlage der DDR. Wer hatte die Idee, auch Ulbricht?
Nein. Die Idee stammte aus der Zeit der Weimarer Republik und wurde von etlichen Arbeitersportlern in Leipzig neuerlich ins Gespräch gebracht, als es beschlossene Sache war, dass es im August 1956 ein zweites Deutsches Turn- und Sportfest geben würde. Das erste hatte auf einer Festwiese 1954 stattgefunden.
Von der Planung bis zur Einweihung dieses 100.000 Besucher fassenden Stadions vergingen keine 18 Monate. Nun ist ein Stadion kein Flugplatz, aber angesichts der damals vorhandenen Technik war es dennoch ein grandiose Leistung aller daran Beteiligten. Im Februar 1955 wurden dem Politbüro und dem Ministerrat die Pläne zur Beratung und Entscheidung vorgelegt. Erwartungsgemäß unterstützte besonders Ulbricht die kühnen Vorschläge, indem er formale und bürokratische Hindernisse aus dem Weg räumte. Überzeugt vom Aufbauwillen und der Sportbegeisterung der Leipziger orientierte er zugleich auf die freiwillige Mitarbeit der Bevölkerung im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks.
Wenige Monate nach der Entscheidung besuchte er im Juli 1955 erstmals die riesige Baustelle. Täglich arbeiteten dort etwa 2.000 bis 2.500 Menschen, die Betonmischer liefen rund um die Uhr, Lkw und Dumper bewegten Erdmassen und Kies, Bagger und Planierraupen fraßen sich in den Grund. Wie üblich führte er intensive
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