Walter Ulbricht (German Edition)
lehrreiche Stunde operativer Arbeit.
Auf dem Areal, auf dem der Hochschulkomplex entstehen sollte, waren in den 40er Jahren Schrebergärten angelegt worden. An der Brücke, neben der der markante Bibliotheksturm gebautt wurde, befand sich ein großer Sandwall. Der wurde gemeinschaftlich erklommen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Lageskizzen wurden hervorgeholt, die Architekten erläuterten, Walter Ulbricht hörte aufmerksam zu. Dann kamen plötzlich einige verärgerte Kleingärtner, die sich beschwerten, dass sie ihre Gärten aufgeben sollten. Ulbricht ging auf sie zu und reagierte. Sehen Sie, sagte er, Sie wollen doch auch, dass Ihre Kinder gesund aufwachsen, dazu brauchen wir aber wissenschaftlich ausgebildete Sportlehrer. Wir müssen auch an das Morgen denken. – Tun wir ja, kam der Einwand, deshalb bauen wir Obst und Gemüse an, damit wir morgen etwas zu essen haben.
Ulbricht nickte und lieferte selbst ein weiteres Argument für die Gärten: Man solle den Erholungswert nicht unterschätzen. Auch das wäre ein wichtiger Faktor.
Und nun?
Wir werden dafür sorgen, dass Ihnen anderenorts Ersatzflächen angeboten werden, sagte er. – Aber mit der gleichen Bodenqualität, kam die Entgegnung.
Ulbricht nickte. Er wolle mit dem Rat der Stadt sprechen, dass eine gemeinsame, einvernehmliche Lösung gefunden werde, ja.
Für uns, die wir dabei waren, war das eine Lehrstunde der Demokratie.
Kaum ein Jahr nach dieser Projektberatung, am 17. Mai 1952, war Walter Ulbricht wieder da und legte den Grundstein. Wie war das?
Es war ein festlicher Tag, jeder war sich bewusst, dass es ein historisches Datum für die demokratische Sportbewegung war. Rings um einen kleinen eingeebneten Platz, inmitten der inzwischen geräumten Kleingartenanlage, hatten sich die Studenten und Lehrkräfte versammelt. Drei Hammerschläge erklangen. In schlichten Worten artikulierte Ulbricht die Wünsche der Regierung und der Partei, dass hier künftig Sportlehrer und Trainer ausgebildet werden würden, bereit und fähig, die heranwachsenden Generationen zu körperlich gesunden, widerstandsfähigen und mutigen Menschen zu erziehen. »Denkt daran«, so forderte er uns auf, »gut und fleißig zu lehren und zu lernen, werdet überzeugte Patrioten für ein neues demokratisches Deutschland!«
Die Geschichte der deutschen Sportbewegung – von Turnvater Jahn bis in die Gegenwart – ist sehr facettenreich. Was war das Besondere an dieser Hochschule?
Mit der Gründung der DHfK wurde ein neues Blatt in der Geschichte der deutschen Sportwissenschaft aufgeschlagen. Es entstand ein Zentrum der Ausbildung und Erziehung von Sportlehrern und Trainern, zugleich aber auch eine Stätte sportwissenschaftlicher Forschung. Die Errichtung der DHfK war eine eindrucksvolle Dokumentation der Förderung von Körperkultur und Sport durch den Staat der Arbeiter und Bauern, ein sichtbarer Beweis für die hohe Wertschätzung und den Platz, den der Sport in der sozialistischen Gesellschaftsordnung besaß.
Aufs Ganze gesehen absolvierten Zehntausende Studenten die verschiedenen Ausbildungsrichtungen. Es gab einen erfolgreich tätigen Lehrkörper, der in modernen Hallen, Instituten und Kabinetten unterrichtete und in Labors forschte. In den Sportanlagen des großzügig angelegten Sportforums wurde trainiert und die Basis für hohe sportliche Leistungen gelegt. Die DHfK hatte Promotionsrecht und unterhielt Beziehungen zu Sportwissenschaftlern aus mehr als vierzig Staaten. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der Hochschule war die enge Verbindung zum Leben, zu den vielfältigen Aufgaben, die unmittelbar in der Praxis der sozialistischen Körperkultur zu lösen waren. Die Tätigkeit des Deutschen Turn- und Sportbundes und seiner Sportverbände war eng mit der Arbeit der Hochschule verknüpft. Ein Großeil der Sportlehrer, Trainer und Funktionäre des DTSB hatte sie durchlaufen. Wenn auch der Beitrag der Hochschule an den von DDR-Sportlern erzieltenWelthöchst- und Spitzenleistungen im Einzelnen nicht konkret zu bemessen war, so steht außer Frage, dass er groß war.
Aus deinen Darlegungen schließe ich, dass Walter Ulbricht der Entwicklung der DHfK besondere Aufmerksamkeit widmete.
Das war unübersehbar. Regelmäßig überzeugte er sich davon, ob und wie es voranging. Heutzutage wird alles zur Chefsache erklärt, ohne dass dies Folgen hätte. Ulbricht hatte die DHfK keineswegs zur Chefsache erklärt, aber er behandelte sie als eine solche. Mindestens einmal
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