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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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um eine gesellschaftliche Tätigkeit handelte, ihm jedoch wegen der Ausfallstunden im Labor gegenüber seinen Mitarbeitern peinlich war und zu schaffen machte. Wie viel nutzbringende Zeit mit den Piophiliden 29 , dachte er, würde ihm womöglich verloren gehen, wenn während der Beratung über Kunst und Literatur wieder einmal nichts Gescheites herauskäme. Absagen allerdings konnte er die Einladung nicht, das verbot sich, sie war zu hoch angelegt.
    Also fuhr er nach Berlin, am Vormittag mit dem D-Zug aus Eisenach, kurz vor zehn Uhr ab Halle, mit Halt nur in Bitterfeld, Wittenberg und am Flughafen Schönefeld, Ankunft gegen dreizehn Uhr in Schöneweide, Weiterfahrt von dort mit der S-Bahn übers Ostkreuz zum Alexanderplatz, Umstieg in die U-Bahn bis zur Station Hausvogteiplatz. Diese Route war ihm vertraut, denn er hatte sie bereits etliche Male genutzt, sobald er es mit der Akademie der Wissenschaften zu tun gehabt hatte, deren Domizil in der Nähe lag, und laut Stadtplan erschien sie ihm auch diesmal am günstigsten. Vom Hausvogteiplatz brauchte es nur noch wenige Minuten zu Fuß, ein Stück Oberwallstraße entlang, vorbei an der Ruine der Werderkirche und dem Haus des Zentralkomitees, über die Spreekanalbrücke hinweg, bis sich seinem Blick weithin zur Museumsinsel und dem Dom der Marx-Engels-Platz öffnete. Eine halbe Drehung nur nach rechts, und schon erhob sich vor ihm das Staatsratsgebäude, stand er vor dem in den rötlichen Porphyr eingearbeiteten Portal des ehemaligen Königlichen Schlosses, das in seiner dreigeschossigen Höhe äußerst monumental wirkte, zumal, wenn man wie Achim ideell, also in Kenntnis all dessen, hinzufügte, dass von seinem Balkon aus, der einst zum Lustgartenflügel des zerbombten Hohenzollernpalastes gehört hatte, am 9. November 1918 Karl Liebknecht seine revolutionäre Rede an die Arbeiter Berlins, die Soldatenräte und roten Matrosen gehalten hatte, eine »neue staatliche Ordnung zu schaffen, eine Ordnung des Friedens, des Glücks und der Freiheit«.
    Er stieg die breiten Stufen der Treppe hinauf, kam sich ein wenig verunsichert vor, als er vor dem Portal die beiden Wachtposten in blitzblanker Paradeuniform, mit Stahlhelm, weißen Handschuhen und vor der Brust gekreuzter Maschinenpistole, passieren musste, denn er fand ihre Anwesenheit, in dieser strammstarren Haltung ausgestellt wie Schaufensterpuppen, so dass es schien, als zuckten sie nicht einmal mit den Wimpern, irgendwie unzeitgemäß, operettenhaft. Am liebsten hätte er sie mit einem Handschlag begrüßt und gefragt, na, wie geht’s, Kumpel, aber er nickte nur kurz, seine Geste blieb unerwidert, und dann betrat er zum ersten Mal das Gebäude.
    In dessen Innerem, wo ein sehr hohes, lichtdurchflutetes Vestibül ihn empfing, ein über alle Etagen sich erstreckendes und in allen Farben strahlendes Glasgemälde, war zur Seite hin ein relativ schmuckloser Tisch gerückt, an dem zwei freundliche Frauen in einer schlichten, dem Stil des Hauses angepassten Kleidung, Kostümen mit taubenblauen Jacken und Röcken, ihn baten, seine Einladung vorzuzeigen, und ihm den Weg zum Konferenzraum wiesen, auf der mit rotem Teppich ausgelegten Treppe ein Stockwerk höher, links, die Türen seien geöffnet, in einem Raum nebenan könne man auch einen Imbiss zu sich nehmen. Es sei ja noch Zeit.
    Man versammelte sich. Zwei Leute, Maler beide, die Achim vom Namen und gelegentlichen Abbildungen ihrer Werke her kannte, waren bereits vor ihm eingetroffen, aßen belegte Brötchen und tranken Kaffee, er stellte sich ihnen vor, heiße Steinhauer, sah ihren Gesichtern an, dass sie nichts mit ihm anzufangen wussten, sprach ein paar Worte, und schon mussten sie anderen, die nun nach und nach eintrafen, die Hände schütteln, das eine Mal einer ganzen Gruppe. Einige umarmten sich, sobald sie auf jemanden stießen, den sie offenbar länger nicht gesehen hatten. So erging es im nun folgenden Trubel dem Bildhauer Fritz Cremer, als ihm plötzlich ein Mann aus Leipzig, Mitte fünfzig mit Haarkranz und Hakennase, gegenüberstand, an den er sich jedoch auf Anhieb nicht zu erinnern schien, denn, dicht an Achims Seite, fragte er ihn mehrmals nach seinem Namen, indem er leicht auch die flache Hand hinters Ohr legte. Werner Fleißig, erwiderte der Mann, jedenfalls klang es so, wie Werner und Fleißig.
    Etwa vierzig Männer und Frauen mochten geladen worden sein, je zur Hälfte Schriftsteller und Maler, und noch drei oder vier andere Personen aus dem Kulturbereich,

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