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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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wie sich zeigte, nachdem man in den Klubsaal gebeten worden war und auf Polsterstühlen um locker gestellte Vierertische Platz genommen hatte. Manche Gesichter kamen Achim bekannt vor, von Zeitschriften und Fernsehsendungen, Erwin Strittmatter fiel ihm auf, Eduard Claudius, der Spanienkämpfer, und Dieter Noll, dessen »Abenteuer des Werner Holt« er verschlungen hatte, und spätestens jetzt wurde ihm bewusst, dass er sich in einem Kreis befand, der durchaus für die Literatur und die bildende Kunst in der Republik als repräsentativ hätte gelten können.
    Mit etwas Verspätung erschien Anna Seghers, die er von Jugend an, seit er das »Siebte Kreuz« gelesen, verehrte, und sofort erhob sich Alexander Abusch, dem er eine Sternstunde seines Denkens durch den »Irrweg einer Nation« verdankte, und bot ihr seinen Stuhl an, damit sie dem Präsidium am langgezogenen, mit weißem Tuch bedeckten Tisch möglichst nahe sein konnte. Doch bevor sie sich setzte, blickte sie noch durch den Saal, blinzelte mit den Augen, fand den Dichter Demant nur zwei Plätze weiter hinter sich und begrüßte ihn, mit einer fast demonstrativ wirkenden Freundlichkeit, wie Achim zu bemerken glaubte.
    Pünktlich um fünfzehn Uhr, der vorgegebenen Zeit, erschien Walter Ulbricht, begleitet von einigen Männern, den Sekretären des Politbüros Paul Verner und Kurt Hager, dem zurzeit amtierenden Minister für Kultur, Klaus Gysi, dem Mitglied des Staatsrates Hans Rodenberg, dem der Ruf eines Urgesteins als roter Schauspieler anhing und der später mehrfach Intendant von angesehenen Theatern war, sogar in Wien und Zürich, und Otto Gotsche, Ulbrichts Sekretär im Staatsrat, selber ein Schriftsteller, Autor von etlichen Romanen über die Arbeiterbewegung, den Achim bereits von Begegnungen her in dem Verlag kannte, der die Bücher von ihnen beiden herausgab. Sich noch mehr Personen mit Namen und Funktion zu merken, die nun, nachdem sie sämtlich von ihren Plätzen aufgestanden waren, als Walter Ulbricht den Raum betreten hatte, aufgefordert wurden, sich wieder zu setzen, vermochte Achim nicht. Er hatte sich ihnen angeschlossen, das schon vom Beginn seines Hierseins an, denn er hatte die Gepflogenheiten eines Staatsempfanges noch nicht gelernt, hatte Beifall mit den anderen geklatscht, ein ernstes Gesicht angenommen und währenddessen das Augenzwinkern mit dem jüngeren Schriftsteller an seinem Tisch geteilt. Jetzt wollte er hellhörig sein, achten auf jedes Wort.
    Auch geschah es zum ersten Mal, dass er dem ersten Manne im Staat so nahe war, und schon das ließ ihn auf Kommendes gespannt sein. Achim beobachtete ihn, wobei es ihm, da er zur linken Seite hin an einem der vorderen Tische saß, ausgebreitet der Raum vor ihm lag und er somit auch die Tafel des Präsidiums überblicken konnte, sehr leicht gemacht wurde. Walter Ulbricht, mit einem Päckchen weißen Papiers, offenbar Manuskriptseiten seiner Rede, vor sich, griff dann auch nach kurzer Begrüßung und Einleitung durch seinen Sekretär zu einem der Blätter und legte seine Gedanken dar. Es verblüffte, dass er nicht erst großräumig die Lage in der Weltpolitik umriss, zwar die Stellung der DDR in ihr streifte, es aber offenbar jedem überließ, seine Schlüsse zu ziehen. Er kam auf den Punkt, er sprach vom Parteitag, der in einem halben Jahr schon Geschichte sein würde und hoffentlich eine gute, für die Menschen in diesem Land, für ihr Wohlergehen, denn – und Achim, der oft zu bequem war, bei Referaten mitzuschreiben, griff an dieser Stelle zum Kugelstift und machte sich Notizen – denn »der sozialistische deutsche Nationalstaat grenzt sich nicht nur staatlich als selbständiger, souveräner Staat vom NATO-Staat Bundesrepublik ab; es entwickelt sich zugleich in der DDR immer mehr die sozialistische Nationalkultur«.
    Angesichts dieser Polarisierung der prinzipiell gegensätzlichen Kulturen, die in der DDR und in der BRD herrschen, sei es umso wichtiger, dass sich die Schriftsteller und Künstler unserer Republik mit den ethischen Maximen vertraut machten, die von der sozialistischen Gesellschaft erhoben werden.
    Diese Formulierungen fand Achim nächsten Tags auch im Neuen Deutschland wieder, der Zeitung des Zentralkomitees der SED, so dass sie, ohne Umschweife derart hart geäußert, dem für die Berichterstattung verantwortlichen Redakteur offenbar ebenfalls, wenn sie nicht gar mit ihm abgesprochen waren, als ein dem Parteitag vorweggenommenes Postulat erschienen sein mussten. Achim kam es

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