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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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zureichen sollte. Ulbricht hatte, wie stets in solchen Momenten, die Hände auf dem Rücken und ineinander gelegt. Ich studierte sie aufmerksam. Diese großen Tischlerhände faszinierten mich, sie hatten etwas Beruhigendes und Zupackendes zugleich. Mein Vater war Stoffdrucker, der hatte auch solche Proletenhände gehabt, richtige Pranken.
    Gotsche endete. Ulbricht drehte sich um, lächelte uns zu, und das hieß: Na, dann wollen wir mal.
    Ich stand stets mit weichen Knien und er wie ein Fels in der Brandung, der durch nichts zu erschüttern war. Während wir aufgeregt prüften, ob alle Urkunden in der richtigen Reihefolge lagen, die Orden – die ich dann ans Revers heften musste – in benötigter Zahl und entsprechenden Stufen aufgetischt waren, und wir die ganze Zeit bangten, ob alle Aufgerufenen auch anwesend waren … Gott, was waren wir nervös. Doch er war die Ruhe selbst. Und das beruhigte uns.
    An Ende des Auszeichnungsaktes bedankte er sich bei allem vom Protokoll. Das hielt er, wie ich merkte, jedes Mal so.
    Es gab in der Regel zum 1. Mai und zum 7. Oktober alljährlich eine große Ordenschwemme. Ich meine das nicht abwertend, denn ich weiß, dass eine solche öffentliche Würdigung von Leistungen wichtig war und keineswegs von den Geehrten geringgeschätzt wurde. Egal, ob es sich um die Aktivistenmedaille oder den Karl-Marx-Orden, um den Nationalpreis oder das »Banner der Arbeit« handelte.
    Waren es nur die Hände, die du bemerkenswert fandest?
    Mich erstaunte, dass er herzhaft und ansteckend lachen konnte. Nicht so ein gekünsteltes, angestrengtes Lachen, womit manche Obere Heiterkeit vortäuschen. Nein, es gab Momente, wo es geradezu unkontrolliert aus ihm herausbrach. Und ich fand das Verhältnis zu seiner Frau anrührend. So eine innige Beziehung war (und ist) in diesen Kreisen vergleichsweise ungewöhnlich. Trotz ihres Alters gingen die beiden warmherzig und offen miteinander um. Sie standen zu ihrer Beziehung, sie waren für alle erkennbar ein Paar. Ich entsinne mich, als mir Lotte erzählte, wie sie sich damals in Moskau in den 30er Jahren beim Schlittschuhlaufen kennenlernten: Da leuchteten noch nach Jahrzehnten ihre Augen, als sei sie wieder ein junges Mädchen und frisch verliebt.
    Und sie war eine gute Köchin. Bekanntlich geht Liebe durch den Magen. Zwei, drei Wochen vor seinem Tod brachte ich irgendwelche Unterlagen nach Dölln, wo sie beide seit geraumer Zeit lebten. Es war Mittagszeit, und Lotte hatte gerade gekocht, also musste ich einen Teller Nudelsuppe mitessen. Sie achtete darauf, dass Walter strenge Diät hielt. Das fand ich schon recht bemerkenswert: Da schwamm kein Fettauge auf der Suppe, und dennoch schmeckte sie vorzüglich. Das war wirklich große Kochkunst.
    Du warst 1965 bei der Ägyptenreise dabei?
    Ja. Das war bis zur Abreise eine Zitterpartie. Auf der einen Seite das Problem der Reiseroute, die NATO-Staaten verweigerten das Überflugrecht, weshalb wir mit Titos Zustimmung mit der »Völkerfreundschaft« von Dubrovnik nach Alexandria zwei Tage übers Mittelmeer fuhren. Auf der anderen Seite die Sorge, dass Nasser dem Druck Bonns doch noch nachgeben könnte. Es galten ja unverändert der Alleinvertretungsanspruch und der Strafkatalog der Hallstein-Doktrin. Aber alles war gut, und es war zu spüren, dass Nasser und Ulbricht sich sehr gut verstanden. Da stimmte auf Anhieb die Chemie.
    Bereits auf der Hinreise hatte unser Außenminister Lothar Bolz gesagt: Walter, wenn die Reise ein Erfolg wird, musst du auf der Rückfahrt ein Bordfest geben. Nun, wir hatten ein Bordfest. Aber etwa ein Drittel der Delegation hing über der Reling, wir hatten ziemlichen Seegang. Auch Lotte war grüngelb im Gesicht.
    Was war deine konkrete Funktion bei diesem Staatsbesuch am Nil?
    Ich war für die Geschenke verantwortlich. Das waren rund siebzig Seekisten, die wir genau nach Plan im Casino-Saal im Schloss Niederschönhausen gepackt hatten.
    Warum Plan?
    Der war wichtig, um alles gleich zu finden, wann man es brauchte. Ich fertigte Listen, da stand z. B. drauf: Kiste 25, Paket 23 links oben. Dazu der Inhalt und wozu es benötigt wurde, etwa »Besuch im Kindergarten, Spielzeug«.
    Die Kisten wurden im Präsidentenpalast in Kairo abgeladen und in einem Raum gelagert. Vor den vier Türen zogen vier Posten auf. Mir wurde ein Mitarbeiter der ägyptischen Protokollabteilung zur Seite gegeben. Er hatte aber ein arabisches Problem. Mit einer Frau und dann in diesem Alter gleichberechtigt zusammenarbeiten?

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