Walter Ulbricht (German Edition)
technikwissenschaftlichen Bereich, entstanden in jener Zeit als Investitionen in die Zukunft.
Zugleich wurden am Beginn dieser neuen Entwicklungsetappe der sozialistischen Gesellschaft eine Reihe von zeitweiligen Forschungsgruppen und Kommissionen gebildet, die sich mit der Analyse der verschiedenen Bereiche der Gesellschaft und der Ausarbeitung von Vorschlägen und Prognosen als Grundlage für künftige politische Entscheidungen beschäftigten. Dabei entstand eine Atmosphäre offener Diskussion, es sollte keine Tabus geben, alle Probleme konnten freimütig erörtert werden, um die besten Lösungen zu finden. Das war die Zeit, in der es auch möglich war, den Stalinschen Dogmatismus öffentlich zu kritisieren und sich mit seinen Auffassungen detailliert auseinanderzusetzen. Damals konnte auch das Buch »Marxistische Philosophie« geschrieben und veröffentlicht werden, in dem der primitive Schematismus konsequent beseitigt wurde, der seit dem Erscheinen der Schrift »Über dialektischen und historischen Materialismus«, die angeblich von Stalin verfasst worden war, in der marxistischen Philosophie seit Jahrzehnten herrschte.
Von grundlegender Bedeutung für die Reformvorhaben war die Ausarbeitung des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft (NÖSPL), das auf Initiative Walter Ulbrichts begonnen und nach vorbereitenden Experimenten eingeführt wurde. Es war darauf gerichtet, den Betrieben eine größere Selbständigkeit zu geben, um damit auch ihre Interessen besser zur Geltung zu bringen, die zentrale Planung auf die wichtigsten Kennziffern zu beschränken und die Produktion vor allem auf qualitative Kriterien zu orientieren. Einen besonderen Stellenwert erhielten dabei das Wertgesetz, die Rentabilität und der Gewinn sowie die Orientierung auf die Intensivierung der Produktion und die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts.
Dieses neue Planungs- und Leitungssystem bewährte sich praktisch und führte in relativ kurzer Zeit zu einer Beschleunigung und Intensivierung der ökonomischen Entwicklung, was auch eine spürbare Erhöhung des Lebensstandards ermöglichte. Theoretisch bedeutete es die Abkehr von dem aus der Zeit extensiver Wirtschaftsentwicklung stammenden sowjetischen Planungssystem mit seinen überdimensionierten bürokratischen Mechanismen und zentral vorgegebenen Kennziffern, das zu immer mehr Bürokratie tendierte und daher zunehmend ineffektiver wurde.
Aber die Entfernung vom Stalinschen Sozialismusmodell beschränkte sich nicht auf den ökonomischen Bereich. Auch in sozialer und politischer Hinsicht gab es bedeutende Unterschiede, und die Differenzen wurden zunehmend größer. Stalin hatte die These vertreten, dass sich angeblich in der Zeit des Sozialismus der Klassenkampf verschärfen und härtere Formen annehmen würde, je weiter die sozialistische Gesellschaft in ihrer Entwicklung vorankomme, weil der Widerstand der noch vorhandenen Überreste der früher herrschenden Klassen wachsen werde. Dies bildete die Begründung für die exzessive Anwendung gewaltsamer Mittel und Methoden bis hin zu Terroraktionen und zugleich auch für den überdimensionierten Sicherheitsapparat.
Auch in der DDR kam es in der Übergangsperiode zeitweilig zu schärferen Auseinandersetzungen, doch war die Führung der SED unter Ulbricht sehr intensiv bemüht, den Kampf nicht eskalieren zu lassen und Verständigung zu suchen. Das zeigte sich darin, dass nach der Überführung der Konzerne und Großbetriebe in Volkseigentum (teilweise durch Volksentscheide) mittlere und kleinere private Betriebe, Geschäfte und Handelsunternehmen weiter bestehen bleiben konnten. Sie wurden in die geplante Produktion und Zirkulation mit einbezogen und sicherten dadurch ihre Existenz. Auch in der neuen Periode der weiteren Entwicklung und Vervollkommnung des Sozialismus hielt Ulbricht an dieser Linie fest. Er erklärte wiederholt, dass in der sozialistischen Gesellschaft alle Menschen gebraucht und eine Perspektive haben würden. In den anderen sozialistischen Ländern – mit Ausnahme Jugoslawiens und später Ungarns – waren faktisch alle Betriebe, unabhängig von ihrer Größe, nach dem sowjetischen Muster enteignet und in gesellschaftliches, d. h. Staatseigentum überführt worden.
Das andere Herangehen Ulbrichts verzichtete nach Möglichkeit auf gewaltsame Methoden und beachtete dagegen viel mehr die verschiedenen ökonomischen, sozialen und politischen Aspekte in den Beziehungen der
Weitere Kostenlose Bücher