Walter Ulbricht (German Edition)
wollte lieber das halbe Deutschland ganz, denn das ganze Deutschland halb. Und Adenauer wollte aus mir einen Widerstandskämpfer in der Zone machen und Ulbricht einen anständigen Kommunisten. Kommunist bin ich nicht geworden, aber ein Verbündeter Walter Ulbrichts schon.
Dieses Zitat mit dem »halben Deutschland ganz« wird ausschließlich Adenauer zugeschrieben.
Ich habe es Ulbricht erzählt, der sagte amüsiert: »Das ist doch gut, da hat er recht.« Wir saßen gelegentlich, das war dann schon in den 60er Jahren, nach den Sitzungen im Staatsrat beim Essen zusammen und sprachen wie normale Menschen. Für Anekdoten war er immer zu haben. Ich kam gerade aus Conakry in Guinea, wo seit 1958 Sékou Touré herrschte, mit dem wir damals ganz gute Beziehungen hatten. »Ein 38-jähriger Neger aus Äquatorialafrika names Sékou Touré«, hieß es im Spiegel 12/1960, »hat den beiden würdigen Großvätern des Abendlandes, Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, eine Nase gedreht. […] Vorletzte Woche tat der Neger wieder etwas Unerhörtes: Ohne sich um die Bonner Drohung zu kümmern, jede Anerkennung der DDR werde von der Bundesrepublik mit aller Strenge geahndet, schickte Sékou Touré einen Botschafter nach Pankow und brüskierte den Kanzler Adenauer.« Also wurde »Neger-Freund Lübke« (Spiegel 3/1962) als erster Bundespräsident auf »Afrika-Tournee« geschickt, wie das Hamburger Nachrichtenmagazin berichtete. Er sollte mit großzügigen Geschenken die Gunst der Abtrünnigen zurückgewinnen. In Guinea überreichte er einen Kredit über 25 Millionen DM zur Verbesserung der Wasserversorgung und versprach die Errichtung eines Lehr- und Musterbetriebes für die Fleischverwertung, einen Forschungs-Fischkutter, drei Muster-Räucherplätze für Fische, eine fahrbare Krankenstation, eine fahrbare Veterinärstation mit einem von Bonn besoldeten Tierarzt, eine Pflanzenschutz-Station mit Sachverständigen und – gleichfalls kostenlos – Straßenbau-Spezialisten. Das nahm Sékou Touré dankbar an, aber fragte bei der Begrüßung Lübkes auf dem Flugplatz, weshalb der Herr Präsident seinen Bart abgenommen habe …
Das ist jetzt ein Witz wie die anderen Lübke zugeschriebenen Sprüche, die sich die Spiegel-Redakteure ausgedacht hatten?
Nein, kein Witz, es stand auch nicht im Spiegel. Das haben sie mir bei meinem Besuch in Conakry erzählt. Sékou Touré hatte diese Anspielung auf Ulbricht bewusst gemacht, wobei ich mir nicht einmal sicher war, ob Lübke sie auch so verstanden hatte, wie sie gemeint war. Ulbricht jedenfalls lachte sehr, als ich ihm das erzählte.
Ein andermal hatte er mich als seinen Sonderbotschafter nach Indien geschickt. Das machte er gelegentlich, um internationale Kontakte zu knüpfen. Auch in den Vatikan hatte er mich einmal entsandt. In Indien besuchte ich den Gouverneur in Bombay, dort unterhielt die DDR bereits seit 1954 ein Außenhandelsbüro. Vor dem Gouverneurspalast begrüßte mich eine Kapelle mit dem »Deutschlandlied«. Ich wertete es stillschweigend als »deutsche Volkslied«. Drinnen fragte mich schließlich der alte, ehrwürdige Gouverneur: »Exzellenz, wie geht es Seiner Majestät?« Ich wähnte, er meinte mit »His Majesty« unseren Staatsratsvorsitzenden, denn wer sollte denn sonst damit gemeint sein, und sagte diplomatisch-höflich: »Gut, sehr gut, danke der Nachfrage.« Im Verlaufe des Gesprächs wurde mir jedoch klar, dass er nicht Walter, sondern Wilhelm gemeint hatte. Ich kam vom anderen Ende der Welt, und er glaubte, das noch immer der Kaiser lebe. Ich korrigierte ihn jedoch nicht, zumal ich zuvor bestätigt hatte, dass »Majestät« noch gut beieinander seien. – His Majesty was amused, als ich ihm das nach meiner Rückkehr in Berlin berichtete.
Wann hattest du zum ersten Mal mit Walter Ulbricht zu tun gehabt?
Das war noch in Halle, in den 40er Jahren, als ich Landesvorsitzender der Jungen Union war. Ich hatte im Neuen Weg, das war die Tageszeitung der Landes-CDU, gefordert, mit dem Klassenkampf aufzuhören. Ulbricht hatte offenkundig den Beitrag gelesen, jedenfalls ging er bei einer Tagung in Halle, auf der er den Zweijahrplan vorstellte, darauf ein. Dieser junge CDU-Freund, so sagte er sinngemäß, irre, der Klassenkampf sei noch lange nicht beendet. Und nach der Konferenz erfolgte dann eine ausführliche, aber freundliche Belehrung. Ulbricht lag immer am Herzen, eng mit christlichen Kreisen zusammenzuarbeiten. Später rief er mich einmal zu sich und übergab mir die während
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