Walter Ulbricht (German Edition)
des Krieges über den Moskauer Rundfunk ausgestrahlten Predigten des in Gefangenschaft geratenen Militärseelsorgers Friedrich-Wilhelm Krummacher. Er schlug vor, diese – natürlich nach Rücksprache mit Krummacher, der seit 1955 Bischof in Greifswald war – zu veröffentlichen. Dabei erzählte mir Ulbricht, dass er seinerzeit wochenlang in Moskau herumgelaufen sei, um für Krummacher ein Kreuz zu bekommen. Es gab nur Doppelkreuze der russisch-orthodoxen Kirche. – Krummacher zeigte mir später einmal dieses von Ulbricht besorgte Kreuz und sprach über den respektvollen Umgang der Kommunisten mit ihm.
Die Blockpolitik bekam gelegentlich Risse, es gab doch innerhalb der CDU-Führung im Vorfeld der ersten Volkskammerwahl im Oktober 1950 Auseinandersetzungen. Du warst damals bereits Generalsekretär der CDU.
Nun ja, unser Parteivorsitzender Otto Nuschke wollte zunächst keine gemeinsame Wahlliste der Kandidaten der Nationalen Front. Nur über meine Leiche, hatte er bei zwei Auftritten in Thüringen erklärt. Nuschke, der 1919 der Weimarer Nationalversammlung und bis 1933 dem Preußischen Landtag – als Generalsekretär der Deutschen Staatspartei (DDP) – angehört hatte und wie Ulbricht jetzt Stellvertretender Ministerpräsident war, rechnete sich offenkundig Chancen aus, Ministerpräsident der DDR und mehr zu werden. Die Stalin-Berija-Linie, die in den sowjetischen Noten vom März 1952 sichtbar wurde, lief doch auf ein neutrales, geeintes Deutschland hinaus. Der 67-jährige Otto glaubte, seine Chancen zu verbessern, indem er sich ein wenig von der SED-Politik absetzte. Ich selbst hingegen warb in den Landesverbänden für die gemeinsame Liste. Dann tagten die Blockparteien, und Nuschke meldete sich zu Wort, alle waren gespannt, was er sagen würde. Und der erklärte völlig überraschend: Ja, er wäre sehr dafür, dass die Kandidaten aller Parteien auf einer gemeinsamen Liste antreten sollten. Deshalb habe er seinen Generalsekretär, also mich, angewiesen, in den Landesverbänden entsprechend zu argumentieren. – Beim Hinausgehen stieß mich Ulbricht in die Seite und sagte: »Na, da haben Sie mich aber falsch informiert.« Und blinzelte mich dabei an.
Worauf führst du den plötzlichen Sinneswandel bei Nuschke zurück?
Ich denke, dass die Sowjets, vermutlich Semjonow 5 , mit ihm geredet hatten. Auf die hörte er.
Wie war Ulbrichts Verhältnis zu dir und zu Nuschke?
Otto Nuschke achtete und respektierte er, mich hatte er gern. Er schickte mich oft als seinen Sonderbotschafter zu Staatsoberhäuptern in aller Welt.
Am 17. Juni 1953 ist Otto Nuschke, immerhin Vizepremier der DDR, nach Westberlin verschleppt worden. Kannst du dich daran erinnern, hattest du damit etwas zu tun?
Ja, aber das hat nichts mit Walter Ulbricht zu tun, das habe ich mit Semjonow geklärt.
Erzähl mal.
Wir saßen im Parteivorstand in der Jägerstraße, als ein Anruf kam, dass Otto Nuschke zu einer 15 Uhr beginnenden Sitzung der Regierung kommen solle. Die sollte irgendwo in Niederschöneweide stattfinden. Otto ließ sich gegen 14 Uhr in einem kleinen F 9 nach Treptow fahren, wurde in der Mühlenstraße unweit der Oberbaumbrücke erkannt und der Kraftfahrer von den Massen genötigt, nach Kreuzberg, also in den britischen Sektor, zu fahren. Vor dem Polizeirevier 109 wurde der Wagen gestoppt, der zweite Fahrer – ein Angestellter des CDU-Hauptvorstandes – flüchtete zurück über die Grenze und rief mich an. Wie ich später von Nuschke selbst erfuhr, traten dort sowohl die Briten als auch die Amerikaner an ihn heran und forderten ihn auf, im Westen zu bleiben. Die Amerikaner wollten ihn gleich ausfliegen und boten ihm einen sechsstelligen Betrag »für seine Memoiren«, die er in den Staaten schreiben sollte. Die Familie werde man nachholen. Nuschke protestierte und verlangte, in die DDR zurückgebracht zu werden. Das sei seine politische Heimat. Der RIAS führte mit ihm ein Interview, das wir im Rundfunk hörten und als seine Botschaft verstanden, dass er erstens gegen seinen Willen festgehalten werde und zweitens zurückkehren wolle. Ich meldete mich beim sowjetischen Hochkommissar Semjonow zum Gespräch an und bat diesen, bei seinem Kollegen im Alliierten Kontrollrat zu intervenieren, damit Nuschke zurückkommen könne. Semjonow fragte lachend: Will er das überhaupt? Das fand ich doch ein wenig befremdlich. Aber der Russe klärte das mit der Gegenseite. Ich erhielt einige Zeit später einen Anruf mit der Aufforderung, zur
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