Walter Ulbricht (German Edition)
getan – das Echo wäre zunächst nur sehr verhalten gewesen, der Widerspruch jedoch nicht weniger schroff als vorher. Die Skepsis gegenüber Programmen jeglicher Art, gegen wortreich proklamierte Ziele, was immer sie versprachen, saß zu tief. Am 12. Juni trafen sich etwa zweihundert antifaschistische Funktionäre verschiedener Richtungen im Neuen Stadthaus. Walter Ulbricht diskutierte mit ihnen die Bildung eines antifaschistisch-demokratischen Blocks. Am 15. Juni wurde die SPD gegründet und trat ebenfalls mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit – es war erstaunlich, wie ähnlich sich die Programme der beiden Arbeiterparteien in den Grundpositionen waren. Wenig später bildeten sich noch zwei Parteien – zunächst nur hier, da in der sowjetisch besetzten Zone und in Berlin die Möglichkeit bestand –, die Christlich-Demokratische Union und die Liberaldemokratische Partei.
Zwei Wochen später, am 25. Juni, fand die erste Funktionärskonferenz der KPD im Kino Colosseum an der Schönhauser Allee statt, an der 1.300 Funktionäre teilnahmen und auf der mit Ulbricht die nächsten Aufgaben beraten wurden. Die Konferenz unterstützte unter anderem auch die Schaffung eines Berliner Jugendausschusses. Am 1. Juli schließlich kehrte der Parteivorsitzende, Wilhelm Pieck, inzwischen fast 70, aus dem Exil nach Berlin zurück.
Am 19. Juli – die Potsdamer Konferenz absolvierte das Vorspiel ihres Programms – fand die erste öffentliche KPD-Versammlung in der Berliner Hasenheide statt, die außerordentlich starken Zuspruch fand. Und Ende Juli gestattete die SMAD auf einen entsprechenden Antrag, in allen Ländern der sowjetisch besetzten Zone Jugendausschüsse zu gründen – unsere Vorarbeit in Berlin war also erfolgreich und fand Nachahmung. Mit dieser Erlaubnis war auch die Aussicht eröffnet, in einer verhältnismäßig kurzen Zeit eine einheitliche deutsche Jugendorganisation zu bilden. Dazu hatte es bereits eine Personalentscheidung gegeben. Ende Juni bat mich Walter Ulbricht zu sich und stellte mir einen Mann vor, dessen Namen ich zwar schon gehört, aber den ich noch nie gesehen hatte. Er hieß Erich Honecker, war acht Jahre älter als ich, kam aus dem Saarland und hatte bei den Nazis zehn Jahre im Zuchthaus gesessen. Er solle, so Ulbricht, die Leitung eines Zentralen Jugendausschusses für die gesamte sowjetisch besetzte Zone übernehmen, während ich mich vorrangig auf die Jugendarbeit in der bald von vier Besatzungsmächten kontrollierten Großstadt Berlin konzentrieren sollte. In dieser Arbeitsteilung wurden wir bald Freunde.
Das Wichtigste scheint mir im Rückblick zu sein, dass wir damals den jungen, orientierungslos gewordenen Menschen das Gefühl vermittelten, gebraucht zu werden.
Du bist der letzte lebende Unterzeichner der Gründungsurkunde der FDJ. Kannst du die letzten Schritte schildern?
Am 2. und 3. Dezember trafen sich in der Pankower Schule »Anna Magdalena Bach«, der nachmaligen Oberschule »Carl von Ossietzky«, Vertreter der Jugendausschüsse ganz Berlins und aus der gesamten sowjetischen Zone zu einer Arbeitstagung. Das Hauptergebnis war – neben der Bestätigung, dass überall in der Ostzone, in allen Städten und Gemeinden nunmehr arbeitsfähige und wirksame Jugendausschüsse existierten – ein einmütig angenommener Aufruf mit der Überschrift »Das Leben ruft die Jugend!« In dem Aufruf war zum ersten Mal die Forderung ausgedrückt, eine einheitliche Jugendorganisation zu schaffen.
Nach diesem Aufruf fanden von Dezember 1945 bis Februar 1946 in allen fünf ostdeutschen Ländern und auch in vielen Orten der westlichen Zonen Deutschlands Delegiertenversammlungen statt, die sich für diesen einheitlichen Jugendverband aussprachen. Schon in ihren Gründungsaufrufen war zu erkennen – ohne dass es wörtlich so formuliert worden war –, dass sowohl die Kommunistische wie die Sozialdemokratische Partei gegen eine erneute Spaltung der Jugend in viele miteinander konkurrierende Verbände oder Vereine waren. Das entsprach Ulbrichts Intentionen, die er uns oft genug hatte wissen lassen.
Das bedeutete allerdings nicht, dass alle Genossen diese Auffassung teilten, zu stark waren die eigenen Erinnerungen an den Kommunistischen Jugendverband oder an die Falken. Besonders in Berlin wurde darüber lebhaft diskutiert, es wurde sogar eine besondere Aktivtagung der KPD zur Erörterung der Vorzüge und Nachteile beider Möglichkeiten notwendig. Positiv: Bekanntlich war vor 1933 der KJVD in Berlin
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