Walter Ulbricht (German Edition)
Hauptausschusses der NDPD und Berater beim Vorsitzenden der NDPD. Mitglied des Büros des Zentralrats der FDJ von 1967 bis 1976, Vizepräsident der Freundschaftsgesellschaft DDR-Finnland und Mitglied des Präsidiums der Freundschaftsgesellschaft DDR-Großbritannien.
M ein Vater hieß Carl Uhlmann, und er war Unternehmer. In der Erzgebirgsgemeinde Gornsdorf gab es ab 1500 Bergbau, dann kamen nach hundertfünfzig Jahren die Leine-, dann die Bortenweber, weil der Berg nichts mehr hergab, und weitere hundert Jahre später ließen sich die ersten Strumpfwirker im Dorf nieder. Die Textilindustrie entwickelte sich sprunghaft, nachdem der Ort ans Eisenbahnnetz angeschlossen worden war. Gornsdorf wurde ein Strumpfwirkerdorf. Und ich wuchs in einer Strumpfwirkerfamilie auf. Mein Urgroßvater, einst Handwerker auf der Walz, hatte mit einer Maschine begonnen und das Unternehmen begründet, die Fabrik wuchs und entwickelte sich, und 1945/46 wurde ein erheblicher Teil der Maschinen als Reparationsgut demontiert. So wurde zwar Platz für Umsiedlern, aber ein Teil der Hallen stand leer.
Vater wurde Komplementär. Das heißt, der Staat stieg in die Firma mit ein, und Vater stellte mit Hilfe des Investors und eines Partners die Produktion um, denn Strümpfe gab es genug, aber die Elektronik war im Vormarsch. Also verlegte er sich auf die Produktion elektronischer Bauelemente. Auf der Frühjahrsmesse in Leipzig, im März 1963, präsentierte er sich erstmals mit den Erzeugnissen des Elektrogerätewerkes Gornsdorf.
Am 7. März machte Ulbricht seinen obligatorischen Rundgang. Und blieb an diesem Stand stehen. Ulbricht ließ sich alles zeigen und erklären, und der dabeistehende Werkleiter Werner Hofmann berichtete auch über die Betriebsgeschichte und den Unternehmer, der nun die Produktion umgestellt habe. Ulbricht hörte aufmerksam zu und sagte: »Sie sind ein moderner Mensch, Sie gefallen mir.« So stand es denn anderentags im Neuen Deutschland und auch die von Ulbricht nachgereichte Begründung. »Was Sie getan haben, hat große Bedeutung. Wir werden in verschiedenen Produktionszweigen nicht einfach die vom Kapitalismus übernommenen Produktionen weiterführen können, weil sich die Absatzlage verändert hat. Wir müssen also zu neuen, modernen Produktionen übergehen. Man sieht, die frühere Einstellung der Unternehmer hat sich bei uns geändert. Sie sind jetzt moderne Menschen geworden und gehen zur Elektronik über.«
Da ich zur selben Zeit in Leipzig studierte, traf ich am Abend meinen Vater, der sich dabei eines Auftrags entledigte. Ulbricht habe ihm zum Abschied gesagt: »Grüßen Sie alle Gornsdorfer.« Und da auch ich einer war, grüßte mich mein Vater von Walter Ulbricht.
Dessen Feststellung, dass mein Vater ein »moderner Mensch« sei, veranlasste das Zentralorgan, Lieselotte Thoms 1 nach Gornsdorf zu schicken. Ihr Beitrag (»Der moderne Mensch«) erschien am 13. April 1963 in der Kulturbeilage auf der Seite, die mit »Die gebildete Nation« überschrieben war. Der Text besitzt das idealistische Pathos jener Jahre, aber er macht die Motive deutlich und den Zeitgeist erlebbar, der in den 50er, 60er Jahre Unternehmer wie meinen Vater bewegte, sich der »neuen Zeit« anzuschließen. Und deshalb soll der exemplarische Beitrag nachfolgend in großen Teilen wiedergegeben werden:
»Eigentlich geht es hier um zwei moderne Menschen: Sie heißen Carl Uhlmann und Werner Hofmann, sind gute Freunde und haben auf der Leipziger Messe Brüderschaft getrunken.
Das hätte wiederum Werner Hofmann noch vor wenigen Jahrzehnten nicht für möglich gehalten, denn damals trennte die beiden eine tiefe Kluft, waren sie einander feind, auch ohne sich persönlich zu kennen«, so beginnt die Autorin dramatisch. »Beide sind im Erzgebirge geboren. Das war das einzige, was sie gemeinsam hatten. Denn Werner Hofmann war das Kind eines Chemnitzer Strumpfwirkers, der um ein paar Lohnpfennige immer wieder erbittert gegen seinen Unternehmer kämpfen musste und schließlich doch immer den kürzeren zog. Carl Uhlmann hingegen kam als Sohn eines Gornsdorfer Strumpffabrikanten zur Welt.
Die Firma C. A. Uhlmann beherrschte und bestimmte damals das Leben in Gornsdorf. So sehr, dass man allgemein sagte, die Gornsdorfer Kinder werden auf Strümpfen großgezogen. Doch nicht an den Füßen trugen sie diese Strümpfe, sie gehörten ihnen nicht einmal. Gemeint waren die großen Strumpfpacken, Paar für Paar von den Eltern in mühsamer Heimarbeit gewirkt und groß
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