Walzer, Küsse und Intrigen - Michaels, K: Walzer, Küsse und Intrigen
sie fröhlich.
Wenn das keine Herausforderung war!
„Nicole …“
„Soll ich Ihnen etwas sagen, Lucas?“, unterbrach sie ihn. „Wenn ich auf Juliet so richtig dahinbrause, stoße ich manchmal einen wilden Schrei aus.“
„Wie bitte?“
Ihr Lächeln war wie eine Einladung zu … ja, zu was? „Ja, ich jubele, ganz laut! Einen Triumphschrei! So laut ich kann! Es ist so … so befreiend, mit dem Wind um die Wette dahinzufliegen, alles Trübe, Traurige in einem fortblasen zu lassen. Und dann öffne ich den Mund und schreie es heraus.“
„Wie die Husaren beim Angriff“, sagte Lucas und nickte. „Die schreien, um dem Gegner Angst zu machen und ihre eigene Angst zu überwinden.“
„Ja, so ähnlich wird es sein, und es wirkt auch bei Wut und Enttäuschung. Sie sollten es auch einmal ausprobieren. Heute zum Beispiel könnten wir beide es versuchen. Lassen Sie Thunder bloß nicht seinen eigenen Kopf! Ich bin jetzt weg!“
Damit stieß sie ihrem Pferd die Absätze in die Flanken, sodass es in Galopp überging, dem Uferrand des Baches entgegen.
Sein Hengst, anscheinend verdutzt ob des abrupten Starts, stieg und drehte eine kleine Runde auf den Hinterläufen, ehe Lucas ihn besänftigen konnte. „Verdammt!“, rief er, ihr hinterherschauend. „Und nun soll ich ihr wohl nachjagen!“
Hinter sich hörte er den Groom amüsiert schnauben. „Sie wird den Bach überspringen, Mylord! Schon weil Sie sie davor gewarnt haben. Lady Nicole geht immer aufs Ganze.“
„Ja, danke“, knurrte Lucas, sich selbst verfluchend, weil er heute Morgen nicht den verlässlichen Victor gewählt hatte, und bohrte dem Hengst die Fersen in die Seite.
Thunder überraschte ihn jedoch, denn seine störrische Natur wich seinem Bewegungshunger.
Sie waren nicht die einzigen Reiter hier draußen, keiner jedoch forderte seinem Pferd solche Leistungen ab wie Nicole. In der Tat hatten viele sogar ihre Tiere gezügelt und beobachteten nun, wie Pferd und Reiterin über die Wiese preschten, wobei Juliets Hufe ganze Grasbüschel aufwarfen.
Doch Thunder beabsichtigte offensichtlich nicht, sich von einer Stute ausstechen zu lassen. Er streckte sich, schnellte vorwärts, sodass Lucas der Biberhut vom Kopf flog und ihm das Haar ums Gesicht wehte.
Es war, als ritte er in die Schlacht, er hätte seinen Degen hoch in der Luft schwingen mögen! Sein Herz hämmerte schneller, und der Wind fegte über sein Gesicht und blies all die Spinnweben fort, die seinen Kopf verstopften, und düstere Gedanken und Sorgen gleich mit, wie auch seinen Wunsch nach Rache und seine Betroffenheit über die Verzweiflung so vieler armer Menschen.
Für wenige kostbare Minuten lebte er im rauschenden Hier und Jetzt und verbannte Gestern und Morgen zur Hölle. Er würde Nicole einholen und mit ihr bis ans Ende der Welt galoppieren. Er würde in ihrem lachenden Blick baden, sich von ihrer Jugend und Schönheit mitreißen lassen und nicht an die Folgen denken, nicht an den anderen Lucas Payne, diesen nüchternen, vorsichtigen Mann, der zum Glück jetzt nicht hier war.
Nicht mehr weit voraus sah er, dass Nicole tatsächlich keine Anstalten machte, ihr Pferd vor dem Wildbach anzuhalten – die beiden flogen förmlich dem Ufer entgegen.
Und sie würden es sicher erreichen. Weil sie es wollte. Weil sie Scheitern gar nicht erst einkalkulierte. Weil sie halb Kind, halb Hexe war, und dazu strahlte sie so viel Lebendigkeit aus, wie er noch nie bei jemandem erlebt hatte.
Was nicht bedeutete, dass er ihr erlauben würde, die Führung zu übernehmen.
„Los, Thunder!“, rief er und beugte sich tiefer über den Pferdehals. „Du wirst dich doch nicht von einer Frau schlagen lassen!“
Das Tier reagierte, als hätte es verstanden, wurde schneller und lag nach kurzer Zeit Kopf an Kopf mit Nicoles Stute.
Nicole wandte sich ihm zu und strahlte ihn so hingerissen an, dass es Lucas wie ein Schlag durch und durch ging.
Er riss die rechte Faust hoch empor und stieß einen Triumphschrei aus. Und einen zweiten, so herrlich war es.
Und Nicole antwortete mit dem gleichen begeisterten Schrei. Dann zog der Hengst an ihr vorbei und setzte zum Sprung an.
Ein schneller Blick hinter sich zeigte Lucas seine Konkurrentin in unmittelbarer Nähe, dann konzentrierte er sich auf den Sprung, und mit einem weiteren Jubelschrei trieb er Thunder vorwärts. Schon schossen sie dem anderen Ufer entgegen, landeten glücklich, und der Hengst galoppierte ohne merkbare Unterbrechung weiter.
Über seine Schulter
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