Wandel
kleine, unscheinbare Ding hier war ein weiterer Beleg dafür.
„Meine Mutter hat dieses Pentagramm hinterlassen“, flüsterte ich.
Ich drehte mich nicht zu Thomas um, spürte aber fast körperlich, wie sein Interesse wuchs.
Thomas erinnerte sich besser als ich an unsere Mutter, aber viele Erinnerungen besaß auch er nicht. Allerdings konnte ich mir durchaus vorstellen, dass er mich in Fragen der Eltern-Kind-Problematik an Klasse um einiges übertraf.
Ich öffnete einen weiteren Weg. Wir kamen in einer trockenen Schlucht heraus, wo neben einem tiefen Kanal im Fels eine Steinmauer aufragte. Möglicherweise hatte der Kanal früher Wasser geführt, aber jetzt war er versandet. Es war dunkel und kalt, am Himmel glänzten unzählige Sterne.
„So“, sagte ich. „Jetzt gehen wir wieder ein Stück.“
Nachdem ich ein Licht herbeigerufen hatte, übernahm ich die Führung. Martin sah sich den Himmel an. „Hm … die Sternenkonstellation … wo sind wir?“
Ich kletterte einen kleinen steilen Abhang hinauf, der nur aus losem Geröll auf hartem Gestein bestand. Von hier aus sah man auf eine weite Fläche, die schneeweiß glitzernd im Mondlicht dalag. Große Konturen ragten aus dem Sand, zu gerade, um natürlich entstanden zu sein. Das klare Mondlicht beschien Linien und rechte Winkel, die einen scharfen Kontrast zu dem flachen, weiten Sandmeer um sie herum bildeten.
„Gizeh“, sagte ich. „Die Sphinx kann man von hier aus nicht sehen, aber ich hatte auch nicht vor, den Reiseleiter zu spielen. Kommt weiter.“
Vom versandeten Kanal bis zu den Pyramiden war es ein anstrengender Marsch von drei oder vier Kilometern durch reinen Sand. Locker joggend lief ich den anderen voran. Gott sei Dank mussten wir uns nicht gegen die Hitze schützen, die gut eine Stunde später die Wüste in ein riesengroßes Backblech verwandeln würde. Noch war es Nacht, und bis die Sonne aufging, würden wir längst fort sein. Das Amulett meiner Mutter führte mich direkt zum Fuß der kleinsten und verfallensten Pyramide, wo ich drei Stufen erklimmen musste, um den nächsten Wegpunkt zu erreichen. Dort warnte ich die anderen noch kurz, dass wir gleich in einer sehr heißen Gegend landen würden und sie ihre Augen schützen sollten. Dann öffnete ich das Tor, und wir gingen hindurch.
Wir kamen erneut auf einer Ebene heraus, wieder neben riesigen Pyramiden. Nur waren die hier nicht aus Stein, sondern aus Kristall. Glatt und perfekt schimmernd ruhten sie unter einer überdimensionalen Sonne, die direkt über uns am Himmel hing. Das Licht war an sich schon so grell, dass es schmerzte, wurde aber noch dazu von den Kristallen der Ebene reflektiert und von den glatten Oberflächen der Pyramiden gebündelt und immer wieder gebrochen.
„Haltet euch von diesen Sonnenstrahlen fern.“ Ich wies auf ein paar Strahlen, die so hell waren, dass Todesstern-Laserstrahlen im Vergleich dazu wirken mussten, als sollten sie dringend mal im Sportverein ihre Muskeln aufpolieren. „Mit denen lässt sich Metall schmelzen.“
Ich führte die Gruppe um den Fuß einer Pyramide herum in einen schmalen Korridor, in dem es nicht ganz so viel Licht gab – von richtigem Schatten konnte allerdings nicht die Rede sein –, und wir erreichten den nächsten Wegpunkt. In einer der sonst spiegelglatten Pyramidenwände fehlte ein Klumpen von der Größe einer Männerfaust. Mit diesem Loch im Rücken wandte ich mich neunzig Grad nach rechts und ging los.
Das Amulett hatte mir gesagt, ich müsse fünfhundert Schritte abzählen. Ich spürte, wie das Licht – denn von Hitze konnte man eigentlich nicht sprechen, es ging um eine überwältigende Menge an reinem Licht – langsam meine Haut bräunte.
Nach fünfhundert Schritten trafen wir auf eine Anomalie in dieser glänzenden Kristallebene: auf einen einzelnen, primitiv und einfach behauenen Felsbrocken, auf dem breite, hässliche Gesichtszüge zu sehen waren.
„Hier sind wir richtig.“ Meine Stimme hallte durch die Ebene, obwohl es hier eigentlich nichts gab, was ein Echo hätte verursachen können.
Ein weiteres Tor, und wir traten aus der Ebene des strahlenden Lichts in feuchte Nebelschleier und dünne Bergluft. Beißender, kalter Wind blies. Wir standen von Steinmauern umgeben in einem kleinen Hof. Einige der Mauern waren zerfallen, über uns gab es kein Dach.
Murphy sah zum Himmel, wo hinter dem Nebel schwach einige Sterne zu erkennen waren. „Wo sind wir jetzt?“, wollte sie wissen.
„Machu Picchu“, sagte ich.
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