Wandel
sich das Tor einen guten halben Meter vom Boden gelöst, und zwei Schützen, die davor auf dem Bauch lagen, eröffneten das Feuer auf das Erste, was ihnen vor die Flinten kam. Das war in diesem Fall ich.
Ich erhielt meinen unsichtbaren Schild aufrecht, auf dessen Vorderseite sich bei jedem Einschuss konzentrische Lichtkreise bildeten, bis er komplett damit überzogen war. Je mehr Wachen auf mich ballerten, desto schwerer war es, den Schild aufrechtzuerhalten. Draußen traf ein Querschläger einen der Söldner in den Bauch, und er ging schreiend zu Boden, aber ich war viel zu beschäftigt, um einen mitleidigen Gedanken an ihn verschwenden zu können. Der Druck der Wächter ließ nicht nach. Ich schaffte es gerade so eben, mit fest zusammengebissenen Zähnen den Schild hochzuhalten.
Da klang das Dröhnen einer schweren Maschine wie Musik in meinen Ohren: Susan kam die Laderampe hochgedonnert wie ein durchgeknalltes Bison, direkt auf die Männer zu, die die Straße in die Freiheit blockierten.
Die stoben panisch und laut schreiend in alle Richtungen davon, um nur nicht überrollt zu werden. Das schafften tatsächlich alle. Als der Laster eine Vollbremsung mit gleichzeitiger Wende hinlegte, bei dem sein Heck gefährlich schlingernd herumschwang, rief Martin mir etwas zu, aber diese Extraeinladung hätte er sich sparen können, ich wusste von allein, was Sache war: So schnell wir konnten, rannten wir auf den Laster zu und warfen uns in den Laderaum, dessen Tür Susan in weiser Voraussicht offen gelassen hatte.
Einer der Wächter wollte schlau sein und versuchte denselben Trick, aber Martin sah ihn kommen, hob seelenruhig seine kleine Pistole, zielte und schoss ihn ins Bein. Schreiend fiel der Mann rückwärts vom LKW. Wir rasten inzwischen, Susan hatte das Gaspedal voll durchgetreten. Metall stöhnte, Draht kreischte auf, als wir ein Stück Zaun umlegten, um hinaus in den weiten, offenen Raum des Canyons zu gelangen. Susan richtete die Nase des Lastwagens auf die Stelle, an der wir die Canyon-Wand hochsteigen mussten. So ließen wir die Anlage unter heftigem Hüpfen und Rasseln unseres leicht überdimensionierten Fluchtwagens hinter uns.
Danach war alles ganz einfach.
Der Laster schaffte uns bis an unseren Aufstiegspunkt, wo wir uns den verdünnten Flugtrank hinter die Binde kippten um anschließend die steinige Canyon-Wand hochzuhüpfen wie Bergziegen. Oder Eichhörnchen. Egal – der Aufstieg in einem Winkel von immerhin achtzig Grad fühlte sich an, als würde man eine etwas zu lang geratene Treppe hochsteigen.
„Harry?“, meldete sich Susan leicht schnaufend, als wir oben angekommen waren. „Würdest du so gut sein und diesen Laster für mich abfackeln?“
„Aber mit dem größten Vergnügen.“ Den LKW ereilte umgehend dasselbe Schicksal wie zuvor die parkenden Autos: Dreißig Sekunden später blies er mit einem letzten Puff die eigenen Flammen aus. Susan stand da und nickte emphatisch.
„Gut“, sagte sie. „Gut. Hoffentlich fällt es ihnen jetzt schwerer, ihren Plan durchzuführen.“
„Was habt ihr gefunden?“, fragte Martin.
„Zeremonienzubehör der Mayas“, sagte ich. „Keine Fokus-Gegenstände, sondern den Rest. Die Requisiten. Sie lagen schon auf dem LKW und sollten als Nächstes weggeschafft werden.“
Susan, die in dem erbeuteten Nylonbeutel gewühlt hatte, hielt ein Papier hoch: „Lieferscheine! Ladung 00938. Die Lieferung nach der, deren Papiere wir gefunden hatten. Sie ist zwei Tage nach den Fokus-Gegenständen rausgegangen.“
Martin kniff nachdenklich die Augen zusammen. „Wenn sie an dieselbe Adresse gehen sollte wie die ursprüngliche …“
„Bedeutet das, wir können mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass dieser Ort in zwei Tagen Fahrt zu erreichen ist, wo immer er auch liegen mag“, beendete ich seine Überlegungen. „So hatten die Vampire ausreichend Zeit, die erste Lieferung zu prüfen, ihre Unvollständigkeit festzustellen und eine neue Lieferung mit den fehlenden Artikeln in Auftrag zu geben.“
Martin nickte. „Nun, und? Wohin gingen die Sachen?“
Susan war immer noch mit dem Inhalt des Beutels befasst, den sie aus der Fahrerkabine des LKWs mitgenommen hatte. „Mexiko!“ Sie hielt einen Reisepass der USA hoch – höchstwahrscheinlich gefälscht, denn wer schleppte schon seinen Pass in einem braunen Briefumschlag herum, hübsch verpackt in einen Haufen funkelnagelneuer mexikanischer Banknoten? „Sie wollten diese Umhänge und die anderen Sachen nach
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