Wandernde Welten
und spürte seinen kalten Atem.
»Bitte gehen Sie jetzt«, sagte sie zu Ketac, der noch immer wartend bei der Tür stand.
»Aber ich soll Sie doch...«
»Gehen Sie und schließen Sie die Tür«, sagte Paula so scharf, wie es ihr möglich war. Sie hörte die Tür ins Schloß fallen.
Sie beugte sich über Tanoujin und küßte ihn. Ihre Zunge und ihre Unterlippe wurden taub und gefühllos. Ihr Mund wurde kalt.
Aber sie spürte, daß sie zu neuen Kräften kam. Sie fuhr mit der Zunge über Tanoujins Lippen.
Er hob die Hand und drängte sie von sich. Aber er war zu schwach. Sie warf sich auf ihn, drückte ihn auf das Bett und küßte ihn, ohne daß er sich dagegen wehren konnte, bis er schließlich so weit bei Kräften war, um sich auf den Bauch zu rollen. Er drückte das Gesicht ins Kissen.
»Du Schlampe...«
»Sie müssen reden. Was wäre, wenn Ihr Körper gestorben wäre? Sie waren schon dabei, meinen zu übernehmen. Sie hätten michgetötet.«
Er wandte den Kopf und blickte zur Wand. Sie ging zur Tür und ließ ihn allein.
MATUKO
Das Krita-Fest
»Warum hast du diese Jacke angezogen?« fragte Uly. »Die Farbe macht dich um Jahre älter.«
Paula blickte sie verärgert an. »Wenn du schlechte Laune hast, kann ich ja gehen.«
Uly lächelte überlegen. Sie trug rosa und orangefarbenes Rouge auf Wangen und Stirn. Ihre Augen waren wie schwarze Monde.
»Du kannst nicht fortgehen. Du bist dazu nicht richtig angezogen.«
»Ich kann alles tun, was ich will!«
Sie saßen auf der breiten Bank einer Sänfte, die durch die Straßen von Vribulo schwankte. Paula klammerte sich immer wieder an dem Plastikrahmen fest. Als Boltiko, die auf Paulas anderer Seite in der Sänfte saß, ihren Arm bewegte, klingelten die kleinen Glocken an ihren Ärmeln.
»Ich würde mich so niemals auf die Straße wagen«, sagte Uly.
»Und wenn es um mein Leben ginge.«
Boltiko setzte sich bequemer in ihre Ecke, und die Silberglöckchen klingelten.
»Wohin gehen wir zuerst? Zum Kundra, um uns die Zukunft voraussagen zu lassen?«
Eingezwängt zwischen Boltiko und Uly versuchte Paula ständig, das Schwanken der Sänfte auszugleichen. Uberall klingelten Glocken. Zum Krita-Fest trug jeder kleine Glöckchen an der Kleidung. Die Sänfte bewegte sich, von Sklaven getragen, rasch voran. Die Vorhänge zu beiden Seiten waren zugezogen, und Paula wußte nicht, wo sie sich befanden. Sie streckte den Arm aus, um den rechten Vorhang zur Seite zu ziehen. Boltiko schlug ihr auf die Hand.
»Das darfst du nicht, wenn wir nicht verschleiert sind.«
Paula lehnte sich zurück.
»Ich hatte wieder eine so schlechte Nacht«, beschwerte sich Boltiko. »Ich habe kaum dreißig Minuten geschlafen.« Sie schlug mit den Knöcheln gegen die Seitenwand der Sänfte, und die Sklaven verfielen in einen leichten Trab.
Uly kicherte. »Ich könnte dir ein paar Mittel gegen Schlaflosigkeit verraten.« Sie blickte Paula lächelnd an.
»Wenn es nicht wegen der Kinder wäre, würde ich am liebsten sterben«, sagte Boltiko. »Und ich glaube nicht einmal, daß jemand mich vermissen würde.«
Die Sänfte schwankte einen Hang hinunter. Durch die dichten Vorhänge hörte Paula das Klingeln von Glöckchen, Musik und Lachen. Uly starrte sie an.
»Boltiko, sage ihr doch, wie entsetzlich sie in dieser Jacke aussieht.«
Paula beugte sich vor und griff nach dem Vorhang. »Setzt dieses Ding ab!«
Boltiko schlug ihr wieder auf die Hand, aber die Sklaven hatten ihren Befehl gehört und blieben stehen.
»Paula!« riefen die beiden anderen Frauen entsetzt, als sie den Vorhang zur Seite riß und ausstieg. Die Sklaven setzten sich wieder in Bewegung. Boltiko hämmerte mit der Faust gegen die Seitenwand der Sänfte.
Sie waren in einer Straße in der Nähe des Markts. Eine dichte Menschenmenge floß links und rechts an ihr vorbei. Auf dem Markt waren die Buden der Händler verschwunden. An ihrer Stelle standen jetzt grellbunte Zelte. Sie schlenderte langsam über den kleinen Rummelplatz, von einem Zelt zum anderen. In einigen wurden Pala-Kuchen oder Schnäpse verkauft, die anderen boten irgendeine Unterhaltung. Hinter einer dichten Wand von Stythen blieb sie stehen und sah auf einer Plattform vor einem Zelt ein schüchtern wirkendes Mädchen zu Ulugong-Musik tanzen.
Drinnen, vor dem zahlenden Publikum würde sie weniger zurückhaltend bekleidet sein, vermutete Paula. Vor dem nächsjten Zelt, das vor allem von Kindern umlagert wurde, kletterte ein kleiner, roter Vogel an einem
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