Wanderungen durch die Mark Brandenburg 4. Spreeland.: Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow
kann von ihm sagen, daß er von Jugend auf die Leidenschaft des Martyriums besaß. All das kleidete ihm aber, weil es nichts Angeflogenes, sondern der Ausdruck seiner Natur war. Was vollends versöhnte, war, daß er nie feige umkehrte oder vor den Folgen seiner Handelsweise erschrak.
1867 verließ er Berlin, um in Heidelberg Jura zu studieren. Es waren die ersten Semester, und sie verliefen, wie erste Heidelberger Semester zu verlaufen pflegen. Pedelle und Nachtwächter wußten alsbald von ihm zu erzählen, mehr noch die Schauspielerinnen, insonderheit die, denen er sich gemüßigt sah seine Gunst zu entziehn. In einem allerschlimmsten Falle, der ihn dann schließlich auch bis an die Grenze der Relegation brachte, ging er so weit, sich auf die Brüstung des ersten Ranges zu schwingen und, höhnisch in den Applaus des enthusiastischen Hauses einstimmend, mit seinen Füßen Beifall zu klatschen.
Eine weitere Unterbrechung, die seine Studien erlitten, wenn von Unterbrechung überhaupt die Rede sein konnte, waren die Duelle, die gelegentlich in etwas zeitraubender Weise vor sich gingen. So ward eins derselben, das zwischen Königsberg und Heidelberg kontrahiert worden war, halben Weges, und zwar in Berlin, ausgefochten. Jeder Partner machte per Schnellzug achtzig Meilen; Rendezvous: Hasenheide. Man rieb sich den Schlaf aus den Augen und schoß sich. Die Kugeln gingen in die Luft. Aber wenn er seinen Gegner auch nicht getroffen hatte, so traf er dafür – eine Stunde später Unter den Linden – seinen Vater, der einigermaßen überrascht war, den im Heidelberger Kolleg Vermuteten an dieser Stelle zu finden.
Ein anderes Vorkommnis dieses Studienjahres mag hier noch erzählt werden, weil es das heitere Gegenstück zu jenem Unternehmen ist, das zwei Jahre später seinem Leben ein Ende machte. Wer sich der Müh unterziehen will, zwischen den beiden Fällen zu vergleichen, wird sie bis in die kleinsten Züge hinein gleich finden. Nur die Zeitläufte waren anders geworden. Und daran ging er zugrunde.
Der Sommer 1868 war der Pariser Ausstellungssommer. Ende Juni, an der Table d'hôte eines Heidelberger Hôtels sitzend, hörte er, wie der in den Salon tretende Oberkellner mit lauter Stimme anfragte: »Ein Zwei-Tage-Billet für Paris: Wer der Herren...« – »Ich«, klang es von der entgegengesetzten Seite der Tafel her, und eine Viertelstunde später (es war höchste Zeit) saß unser Studiosus juris bereits im Coupé und dampfte auf Paris zu. Wie er ging und stand, hatte er die Reise angetreten. Auch ohne Geld. Die paar Gulden, die er bei sich führte, waren schon verausgabt, eh er noch in den Pariser Ostbahnhof einfuhr. Er liebte es, alles vom Moment und seinem guten Glück abhängen zu lassen. Und siehe da, in Paris ließ es ihn nicht im Stich. Einer der ersten, denen er auf dem Boulevard des Italiens begegnete, war ein Heidelberger Freund, Sohn eines reichen Industriellen, der willfährig mit seiner Reisekasse aushalf, mutmaßlich auch seine Wohnung zur Verfügung stellte. Die erborgte Geldsumme wurde gewissenhaft geteilt und die eine Hälfte in Wäsche, Hut und Handschuhen, die andere in Cabfahrten und Soupers bei Véry und den Frères Provençaux angelegt. Ob er die Ausstellung besuchte, ist mindestens zweifelhaft. Am zweiten Tage war er pünktlich am Bahnhof, um die Rückreise anzutreten; plötzlich aber, ganz nach Art eines kühnen Hasardeurs, von der unbezwinglichen Neigung erfaßt, sein Glück noch einmal zu versuchen, trat er an den Schalter, ließ sein Billet abstempeln und blieb. Er mochte – und nicht ganz mit Unrecht – davon ausgehen, daß nur von seiten des Kassenmannes eine exakte Prüfung des Billets zu gewärtigen, von dem im Momente der Abfahrt aber die Contrôle fahrenden Schaffner nicht allzuviel Böses zu befürchten sei. Auf diesen Kalkül hin dehnte er seinen Pariser Aufenthalt um weitere drei Tage, will sagen bis zur Erschöpfung der letzten Ressourcen, aus, sah auch in bezug auf Conducteur-Contrôle seine Berechnungen glänzend gerechtfertigt und gelangte glücklich bis Straßburg. Hier erst, von der französischen auf die deutsche Bahn übergehend, wurde die Sache bemerkt und die Weiterfahrt verweigert. Aber so nah am Hafen wollt unser Freund sein Schiff nicht scheitern lassen. Er verließ den Perron, stellte sich auf die entgegengesetzte Seite der Wagenreihe, riß im Moment der Abfahrt eine Coupétür auf und sprang hinein. So kam er nach Karlsruhe, hungrig und keinen Kreuzer in der Tasche.
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