Wanderungen durch die Mark Brandenburg 4. Spreeland.: Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow
dabei legte er die Hand auf die Brust. Dann warf er mit der Linken die Zigarette in die Luft und rief: »Es lebe der König.« Von neun Kugeln durchbohrt, brach er zusammen.
Oberst Turnier richtete noch am selben Tage folgendes Schreiben an den Kommandeur des 4. Ulanenregiments:
»Mein Herr Oberst! Ich habe die Ehre, Sie wissen zu lassen, daß Fähnrich Anderssen vom 4. Ulanenregiment durch ein am 24. d. M. zusammengetretenes Kriegsgericht, und zwar gestützt auf Artikel 207 unsres Code militaire, zum Tode verurteilt worden ist. Mit ihm Mr. Bauer, der den Eintritt des jungen Offiziers in diese unsre Festung Thionville begünstigt hatte. Jede Vorschrift unsrer Militärgerichtsbarkeit ist innegehalten und heute früh das Urteil vollstreckt worden.
Wie ich schon die Ehre hatte, in einem Schreiben vom 21. d. M. Ihnen zu melden, ist Fähnrich Anderssen durch den Chefarzt unseres Militärhospitals sowohl im Gefängnis wie vor dem Kriegsgericht, dazu auch in den von ihm geschriebenen Briefen auf das aufmerksamste untersucht worden. Das Resultat dieser Untersuchung hat ergeben, daß der junge Offizier von dem Tag an, wo er seinen Fehltritt beging, bis zu dem, wo er dafür büßte, bei völligster und ruhigster Überlegung gewesen ist.
Fähnrich Anderssen hat im übrigen all die Zeit hindurch eine vorzügliche, ebenso passende wie würdige Haltung bewiesen und ist gestorben wie ein echter Soldat (il est mort en vrai soldat).
Ich bedaure, daß meine überaus schwierige Lage und die Macht der Umstände mir nicht gestattet haben, den Gang dieser furchtbaren Angelegenheit (de cette terrible affaire) aufzuhalten.
Empfangen Sie, mein Herr Oberst, die Versicherung meiner auszeichnendsten Gefühle.
Thionville, am 29. Oktober 70
Turnier,
Oberst und Erster Kommandant.«
Ende Februar – der Präliminarfriede war inzwischen geschlossen – wurde die Leiche ausgegraben, um nach Berlin übergeführt zu werden. Thionville hatte um diese Zeit bereits eine preußische Besatzung, vom 30. Regiment, wenn ich nicht irre. Die Erinnerung an den so jung und so brav Gestorbenen war noch in aller Herzen lebendig, und als der Kondukt durch die Straßen der Stadt ging, dem Eisenbahnhofe zu, schloß sich die ganze männliche Bevölkerung dem Militärkommando an, alle Frauen und Mädchen aber standen an den offenen Fenstern und folgten teilnahmsvoll dem langen Zuge. Tugend und Tapferkeit erobern jedes Herz, auch das des Feindes.
Am 10. März traf der Sarg hier ein und wurd in der Leichenhalle des Jerusalemer Kirchhofes niedergesetzt. Am 13. erfolgte die Bestattung. Das 2. Garde-Ulanen-Regiment gab das Ehren- und Geleitskommando, und über den niedergesenkten Sarg hin feuerten die Karabiner. Dann schloß sich das Grab. Jetzt steht es dicht in Efeu und Blumen, Zypressen ringsumher, und auf dem schräg liegenden, halb überwachsenen Marmorkreuze lesen wir: »Hier ruhet in Gott unser geliebter einziger Sohn, der Portepee-Fähnrich Alexander Anderssen, geboren den 19. November 1847, vom Feinde erschossen in Thionville den 29. Oktober 1870.«
Ruh aus, tapfres Herz.
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Friedrichsfelde I
Und nahe hör ich, wie ein rauschend Wehr,
Die Stadt, die völkerwimmelnde, ertosen.
»Braut von Messina«
Gegrüßet seid mir, edle Herrn,
Gegrüßt ihr, schöne Damen!
Goethe
Wen ein Sommernachmittag ausnahmsweise vor die Tore der östlichen Stadtteile, beispielsweise nach Friedrichsfelde, führt, dem werden sich daselbst in Landschaft und Genre die gefälligsten und in ihrer heitern Anmut vielleicht auch unerwartetsten Bilder erschließen. Friedrichsfelde darf als das Charlottenburg des Ostends gelten, und allsonntäglich wandern Hunderte von Residenzlern hinaus, um sich »Unter den Eichen« daselbst zu divertieren. Es sind meist Vorstadt-Berliner, jener Schicht entsprossen, wo die Steifheit aufhört und der Zynismus noch nicht anfängt, ein leichtlebiges Völkchen, das alles gelten läßt, nur nicht die Spielverderberei, ein wenig eitel, ein wenig kokett, aber immer munter und harmlos. Wie das lacht und glücklich ist im Schweiße seines Angesichts! Jetzt »Bäumchen, Bäumchen, verwechselt euch«, jetzt Anschlag, jetzt Zeck, jetzt Ringelreihn und Gänsedieb, bis endlich unter den weitschattigen Parkbäumen sich alles lagert und auf umgestülpten Körben und Kobern die Mahlzeit nimmt.
Die Fahrt nach Friedrichsfelde, wenn man zu den »Westendern« zählt, erfordert freilich einen Entschluß. Es ist eine
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