Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
und doch ist es nicht
    diese kühle, fliesengedeckte Halle, was uns hierher-
    führte, sondern umgekehrt der sonnenbeschienene
    Vorflur im ersten Stock, wo wir einem seltsamen
    Erinnerungsstücke begegnen, das eine sehr andre
    Zeit als die Zeit unseres Albrecht Christoph vor uns
    heraufbeschwört. Hier, an einem breiten Fensterpfei-
    ler, an demselben Platz etwa, wo sonst eine Flora
    oder Pomona oder irgendein andres Stück griechi-
    scher Mythologie zu stehen pflegt, erhebt sich statu-
    enhaft und auf niedrigem Postament ein Riesenstiefel mit einem neun Zoll langen Sporn daran und einer
    anderthalb Zoll dicken Sohle. Das Ganze ein Kunst-
    werk in seiner Art und trotz seines riesigen Umfan-
    ges von einer gewissen Eleganz der Erscheinung.
    Dieser Stiefel hat seine Geschichte.
    Wer kennt nicht das Regiment Gensdarmes? Und wer
    hätte nicht gehört von der Verschwendungslust und
    Tollkühnheit seiner Offiziere, von ihrem Mut und Ü-
    bermut!
    Unter den jungen Offizieren ebendieses Regimentes
    war denn auch Wolf Ludwig Friedrich von Quast, we-
    gen seiner tollkühnen Streiche kurzweg der »tolle
    Quast« genannt. Eines Tages (wahrscheinlich im Jah-

    589
    re 1794) ging er mit Lieutenant von Jürgaß, dem
    spätern ausgezeichneten Kavalleriegeneral unter
    Yorck, über die Weidendammer Brücke, als ihnen,
    einige Häuser weiter, ein riesiger Sporn auffiel, der
    im Schaufenster eines Eisenladens hing. Es ward
    ausgemacht, daß derjenige, der zuerst in Arrest kä-
    me, das wunderliche Ding kaufen solle. Jürgaß war
    der erste, der dieses Vorzugs genoß, und kaufte den
    Sporn, aber freilich nicht, ohne beim Kauf ein neues
    Abkommen getroffen zu haben: »Der nächste , der in Arrest kommt, läßt einen Stiefel dazu machen.« Dieser nächste war nun selbstverständlich Quast, und
    schon eine Woche danach wurde der etwa sechs Fuß
    hohe Riesenstiefel unter allen möglichen Formalitä-
    ten in die Kaserne getragen. Da stand er nun, der
    Koloß, und der Sporn ward ihm angeschnallt. Aber
    der Übermut, einmal wach geworden, sehnte sich
    nach mehr , und so beschloß man denn einstimmig, dem Stiefel zu Ehren ein Fest zu geben, bei dem der
    Stiefel selbst als Bowle fungieren sollte. Gesagt ge-
    tan. Das Fest verlief unter dem Jubel aller Beteilig-
    ten, aber doch andrerseits auch so, daß folgenden
    Tages Ordre kam, auf den Stiefel zu fahnden. So
    leichten Kaufs indes gedachten die jungen Offiziere
    weder sich noch ihren Stiefel fangen zu lassen, und
    als die diesem letzteren geltende Stubenrevision ih-
    ren Anfang nahm, war der große Stiefel schon mit
    Extrapost auf dem Wege nach Garz. Aber auch hier
    war seines Bleibens nicht lange. Das Versteck war
    verraten worden, und eine Reiterpatrouille hatte
    striktesten Befehl erhalten, den »Stiefel der Gens-
    darmes«, es koste, was es wolle, zur Stelle zu schaf-
    fen. Was tun in dieser Lage?

    590
    Das erste war, ebendieser Patrouille, die schon drei
    Meilen Vorsprung hatte, diesen Vorsprung wieder
    abzugewinnen. Es sattelten also befreundete Kame-
    raden, überholten im Fluge das ziemlich ruhig seines
    Weges trottende Piquet und führten den gefährdeten
    Liebling von Garz nach Ganzer hinüber, wo derselbe
    nunmehr, in einem abgelegensten Scheunenwinkel,
    unter hochaufgeschichteten Strohmassen versteckt
    wurde.
    Daselbst stand er über ein Menschenalter. Das Re-
    giment Gensdarmes war längst tot und die Jürgasse
    längst ausgestorben, da erbat sich der jetzige Besit-
    zer von Garz, Rittmeister von Quast, den Stiefel von
    Ganzer her zurück, »da dieser, wenn irgendwohin,
    am ehesten nach dem ehemaligen Gute des ›tollen
    Quast‹ gehöre«. Gern wurd ihm gewillfahrt, und
    blank aufgeputzt steht er seitdem auf dem Flure des
    Garzer Herrenhauses, ein charakteristisches Über-
    bleibsel aus den Tagen des ›Regiments Gensdar-
    mes‹«.
    Wolf Quast, wie so viele Militärs jener mit Unrecht in
    Bausch und Bogen verurteilten Zeit, war übrigens
    keineswegs ein bloßer »Junker Übermut«, der nur
    mit Sporn und Degen über die Straße zu rasseln und
    gelegentlich in einem Riesenstiefel eine Bowle zu
    brauen verstand, er war vielmehr umgekehrt ein
    Mann von hervorragenden Gaben, der die Pflege
    »nobler Passionen« mit Bildung, Belesenheit und
    künstlerischem Sinn sehr wohl zu vereinigen wußte.
    Soldat mit Leib und Seele, war er darauf aus, dem
    Dienst eine ideale, fast eine wissenschaftliche Seite

    591
    abzugewinnen, und legte seine Reitererfahrungen in
    einem Buche nieder, das, wie

Weitere Kostenlose Bücher