Wanderungen durch die Mark Brandenburg
und doch ist es nicht
diese kühle, fliesengedeckte Halle, was uns hierher-
führte, sondern umgekehrt der sonnenbeschienene
Vorflur im ersten Stock, wo wir einem seltsamen
Erinnerungsstücke begegnen, das eine sehr andre
Zeit als die Zeit unseres Albrecht Christoph vor uns
heraufbeschwört. Hier, an einem breiten Fensterpfei-
ler, an demselben Platz etwa, wo sonst eine Flora
oder Pomona oder irgendein andres Stück griechi-
scher Mythologie zu stehen pflegt, erhebt sich statu-
enhaft und auf niedrigem Postament ein Riesenstiefel mit einem neun Zoll langen Sporn daran und einer
anderthalb Zoll dicken Sohle. Das Ganze ein Kunst-
werk in seiner Art und trotz seines riesigen Umfan-
ges von einer gewissen Eleganz der Erscheinung.
Dieser Stiefel hat seine Geschichte.
Wer kennt nicht das Regiment Gensdarmes? Und wer
hätte nicht gehört von der Verschwendungslust und
Tollkühnheit seiner Offiziere, von ihrem Mut und Ü-
bermut!
Unter den jungen Offizieren ebendieses Regimentes
war denn auch Wolf Ludwig Friedrich von Quast, we-
gen seiner tollkühnen Streiche kurzweg der »tolle
Quast« genannt. Eines Tages (wahrscheinlich im Jah-
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re 1794) ging er mit Lieutenant von Jürgaß, dem
spätern ausgezeichneten Kavalleriegeneral unter
Yorck, über die Weidendammer Brücke, als ihnen,
einige Häuser weiter, ein riesiger Sporn auffiel, der
im Schaufenster eines Eisenladens hing. Es ward
ausgemacht, daß derjenige, der zuerst in Arrest kä-
me, das wunderliche Ding kaufen solle. Jürgaß war
der erste, der dieses Vorzugs genoß, und kaufte den
Sporn, aber freilich nicht, ohne beim Kauf ein neues
Abkommen getroffen zu haben: »Der nächste , der in Arrest kommt, läßt einen Stiefel dazu machen.« Dieser nächste war nun selbstverständlich Quast, und
schon eine Woche danach wurde der etwa sechs Fuß
hohe Riesenstiefel unter allen möglichen Formalitä-
ten in die Kaserne getragen. Da stand er nun, der
Koloß, und der Sporn ward ihm angeschnallt. Aber
der Übermut, einmal wach geworden, sehnte sich
nach mehr , und so beschloß man denn einstimmig, dem Stiefel zu Ehren ein Fest zu geben, bei dem der
Stiefel selbst als Bowle fungieren sollte. Gesagt ge-
tan. Das Fest verlief unter dem Jubel aller Beteilig-
ten, aber doch andrerseits auch so, daß folgenden
Tages Ordre kam, auf den Stiefel zu fahnden. So
leichten Kaufs indes gedachten die jungen Offiziere
weder sich noch ihren Stiefel fangen zu lassen, und
als die diesem letzteren geltende Stubenrevision ih-
ren Anfang nahm, war der große Stiefel schon mit
Extrapost auf dem Wege nach Garz. Aber auch hier
war seines Bleibens nicht lange. Das Versteck war
verraten worden, und eine Reiterpatrouille hatte
striktesten Befehl erhalten, den »Stiefel der Gens-
darmes«, es koste, was es wolle, zur Stelle zu schaf-
fen. Was tun in dieser Lage?
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Das erste war, ebendieser Patrouille, die schon drei
Meilen Vorsprung hatte, diesen Vorsprung wieder
abzugewinnen. Es sattelten also befreundete Kame-
raden, überholten im Fluge das ziemlich ruhig seines
Weges trottende Piquet und führten den gefährdeten
Liebling von Garz nach Ganzer hinüber, wo derselbe
nunmehr, in einem abgelegensten Scheunenwinkel,
unter hochaufgeschichteten Strohmassen versteckt
wurde.
Daselbst stand er über ein Menschenalter. Das Re-
giment Gensdarmes war längst tot und die Jürgasse
längst ausgestorben, da erbat sich der jetzige Besit-
zer von Garz, Rittmeister von Quast, den Stiefel von
Ganzer her zurück, »da dieser, wenn irgendwohin,
am ehesten nach dem ehemaligen Gute des ›tollen
Quast‹ gehöre«. Gern wurd ihm gewillfahrt, und
blank aufgeputzt steht er seitdem auf dem Flure des
Garzer Herrenhauses, ein charakteristisches Über-
bleibsel aus den Tagen des ›Regiments Gensdar-
mes‹«.
Wolf Quast, wie so viele Militärs jener mit Unrecht in
Bausch und Bogen verurteilten Zeit, war übrigens
keineswegs ein bloßer »Junker Übermut«, der nur
mit Sporn und Degen über die Straße zu rasseln und
gelegentlich in einem Riesenstiefel eine Bowle zu
brauen verstand, er war vielmehr umgekehrt ein
Mann von hervorragenden Gaben, der die Pflege
»nobler Passionen« mit Bildung, Belesenheit und
künstlerischem Sinn sehr wohl zu vereinigen wußte.
Soldat mit Leib und Seele, war er darauf aus, dem
Dienst eine ideale, fast eine wissenschaftliche Seite
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abzugewinnen, und legte seine Reitererfahrungen in
einem Buche nieder, das, wie
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