Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Prinz von Hessen-Homburg
jene eingangs erwähnten fünfundzwanzig Familien
ansiedelte, die berufen waren, das bis dahin kaum
über ein Dorfansehen hinausgewachsene Neustadt in
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einen Fabrikort umzuwandeln. Der Prinz war der
Mann der Initiative, gewiß, aber wir werden seinem
Verdienste kaum zu nahe treten, wenn wir, auch an
dieser Stelle wieder, die Vermutung aussprechen,
daß erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts all
das von ihm Gepflanzte wirklich reichliche Früchte trug. Die Neustädter Glasindustrie hatte zu dieser
Zeit ein Ansehen gewonnen, und besonders seine
Spiegel bildeten einen nicht unerheblichen Exportar-
tikel.
Was sich jetzt noch von Gebäuden auf dem »Spie-
gelberge« vorfindet, gehört nicht der Epoche des
»Landgrafen«, sondern sehr wahrscheinlich den letz-
ten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms I. an, we-
nigstens scheint die Bauweise, die man kurzweg als
eine kümmerliche Nachahmung des Holländischen
bezeichnen kann, darauf hinzuweisen. Die Glas-
schmelze, vor allem aber das Langhaus, in dem ehe-
dem die Spiegelplatten belegt wurden – sie wirken
wie bloße Schuppen, denen man bemüht gewesen ist
mittelst roten Anstrichs ein etwas höheres Ansehn zu
geben (ein Ansehn von dem was sie nicht sind), und erinnern dadurch an die derselben Zeit angehörigen
Soldatenwesten, die gar keine Westen waren, son-
dern nur angenähte Tuchlappen. Am meisten tritt
einem diese Dürftigkeit an dem hier errichteten re-
formierten Betsaal entgegen, der dasselbe Fachwerk und dieselbe rote Tünche zeigt und seine Bestimmung durch nichts anderes andeutet als durch einen
Dachreiter in Form eines aus Schindeln zusammen-
geklebten Schilderhauses. Zu Häupten desselben ein
Glöckchen.
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Das Ganze fiel uns auf, wenn auch nur durch seine
Wunderlichkeit. Wir traten deshalb dicht an die ho-
hen, aus kleinen grünen Scheiben zusammengesetz-
ten Fenster heran und sahen in den Betsaal hinein,
der aus einem Katheder und sechs Bank- und Pult-
reihen bestand. Auf den Pulten lagen viele Gesang-
bücher aufgeschlagen, als habe eben erst eine Ge-
meinde diesen Betsaal verlassen. Und doch waren es
über drei Jahre, seit man sich hier zum letzten Male
versammelt hatte. Das Ganze berührte mich unheim-
lich, etwa wie ein angerichtetes Mahl, das von langer
Zeit her seiner Gäste harrt, oder wie die leise Musik
in Spukschlössern, drin Geigen unsichtbar zum Tanze
spielen. Aber kein Tänzer kommt.
Wusterhausen a. D.
Kleine Städte aufzufinden,
Städte, die in wenig Jahren
Werden ganz und gar verschwinden,
Treibt's mich, über Land zu fahren;...
Sind sie auch nicht schön geblieben,
Schön ist immer, was wir lieben.
G. Hesekiel
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Von Neustadt a. D. bis Wusterhausen a. D. ist nur
ein Schritt. »Il n'y a qu'un pas.« Die mißliebigen An-klänge, die vielleicht für alles, was Wusterhausen
heißt, in diesem Zitate liegen, sind nicht ernsthaft
gemeint und können es nicht sein, da das gegenseitige Verhältnis in einem anderen berühmten Dich-
terworte längst seinen mustergiltigen Ausdruck ge-
funden hat. »Rosenkranz und Güldenstern und Gül-
denstern und Rosenkranz.« In der Tat, sie sind Zwil-
linge, Dosse-Brüder und einander so ähnlich wie die
Kiebitzeier, die sich, am Fluß hin, in dem Röhricht
ihrer beiderseitigen Feldmarken vorfinden. Aber da
kommt mir freilich eine neue Sorge. »Wie ähnlich Sie
Ihrem Herrn Bruder sehn!« Wer zu solcher Versiche-
rung greift, darf beinah immer überzeugt sein, sich
auf einen Schlag zwei Feinde gemacht zu haben.
Auch Wusterhausen besteht aus einer Haupt- und
einer Nebenstraße, die hier aber keinen einfachen
Haken (
), sondern etwa eine Form wie diese
bilden. Da, wo beide Straßen sich treffen, erweitern
sie sich, ganz wie in Neustadt, zu einem platzartigen
Mittelpunkte, der, neben einer Anzahl gleichgiltiger
Häuser, auch die steinerne Historie Wusterhausens,
die Kirche , trägt. Seine geschriebene Historie ging in verschiedenen Rathausbränden unter. Was trotzdem
übriggeblieben ist, ist schnell erzählt. Im zwölften
und dreizehnten Jahrhundert gehörte Wusterhausen
den Plothos, deren Burg vor dem Kyritzer Tore
stand. Noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts waren
die Ruinen derselben erkennbar; jetzt nur noch der
»Burgwall«. Außer diesem Überbleibsel erinnert
nichts weiter als das Stadtwappen an diese frühste
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historische Zeit: die Plothosche Lilie, durch den mär-
kischen Adler
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