Wanderungen durch die Mark Brandenburg
sich,
andere folgten, die Steinmauer wurde gezogen –
aber der Name blieb, und von den Gestorbenen heißt
es sinnig und ungezwungen: »Sie schlafen im Ro-
sengarten.«
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Weiter in den Wald hinein, etwa eine halbe Meile im
Rücken des Rosengartens, liegt der Baa-See , der Liebling und der Stolz der Freienwalder. Sie überschätzen ihn offenbar, vielleicht weil er das land-
schaftlich einzig in Betracht kommende Wasserstück
ihrer schönen, aber etwas monotonen Landschaft ist,
vielleicht auch, weil er Versteckens spielt und nach
Art vielumworbener Schönen sich dem Werber ent-
zieht.
Auch wir suchten ihn, ohne ihn finden zu können,
und ermattet warfen wir uns nieder ins Moos und
schlossen die Augen. Als wir wieder aufblickten,
wurden wir waldeinwärts, aber dicht hinter uns,
zweier Mädchengestalten gewahr, die tief in Far-
renkraut standen und nur mit Kopf und Brust über
das grüne Blattwerk hinwegragten. Ein Bild wie aus
den »Fleurs animées«! Wir schwankten noch, ob wir
sie nach dem Wege fragen sollten, als sie von selbst
schon, barfuß und hochgeschürzt, aus dem grünen
Gestrüpp heraustreten und uns zuriefen: »Der See
liegt da hinauf!« Dabei machten sie eine Handbewe-
gung nach rechts und zeigten auf die Schlucht, durch
die wir, auf unsern Irrfahrten, eben herabgestiegen
waren.
Beide Mädchen waren noch jung, die jüngere, hüb-
schere noch ein halbes Kind, und nachdem wir Be-
grüßungsworte mit ihnen gewechselt und uns an
dem bescheiden-kecken Ton beider gefreut hatten,
wurden wir einig, daß sie uns bis zum Baa-See hin
als Führer begleiten sollten.
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Es ist immer schwer, mit jungen Dirnen in ein ein-
fach Gespräch zu kommen und den klaren, sprudeln-
den Ton zu treffen, in dem ihrer Seele wohl wird, wie
der Forelle im Quellwasser; aber es ist doppelt
schwer mitten im Wald, über dem die Mittagsschwüle
brütet und in dem nichts vernehmbar ist als der
Specht im Tann und dann und wann das Rufen des
Pfingstvogels. Zu der Scheu der Geister kommt eine
Scheu der Natur.
Wir versuchten ein Geplauder, aber es scheiterte.
Die Einsamkeit, die sonst so naheführt, hier zog sie
eine Schranke. Und so gaben wir's auf, und beide
Mädchen, fortan unbelästigt durch unsere Fragen,
schritten vor uns her, die Schlucht hinauf. Zu beiden
Seiten stand der Wald und schloß sich über dem
Hohlweg, der tief und vom Regen ausgewaschen
war. Die Wandungen rechts und links zeigten allerlei
Wurzelgeflecht, das phantastisch aus der roten Erde
hervorsah. Keines der beiden Mädchen blickte sich
um, keine sprach mit der andern, aber beide hatten
einen elastischen Gang, und wie bei guten Schlägern
nicht die Bewegung des Armes, sondern die Biegung
des Gelenks entscheidet, so bewegten sich auf dem
Bilde vor uns nur Hüfte und Nacken, während der
Unterkörper, trotz rüstigen Schreitens, in statuari-
scher Ruhe zu verharren schien. Die ältere wollte
gefallen, die jüngere dalberte nur, und während jene
mit einem gewissen koketten Ernst ihre Schritte tat,
kicherte die andere und errötete über Ohr und Hals.
Nun kletterten sie die Wandung des Hohlweges hin-
auf und liefen waldeinwärts. Als wir sie wiederfan-
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den, stand die jüngere auf einem steil abfallenden
Bergeck und hielt sich mit der linken Hand an einem
Wacholderbusch, während sie mit der rechten in die
Tiefe zeigte. Unten lag der Baa-See, das ersehnte
Ziel unserer Wanderung. Wir traten heran und hiel-
ten Umschau. Aber das Bild des Mädchens war schö-
ner als der See; die Staffage ging über die Land-
schaft.
Was den Baa-See zu keiner tieferen Wirkung kom-
men läßt, ist wohl das, daß er jener Mischgattung
von Seen angehört, die zu finster sind, um zu erhei-
tern, und doch wieder zu heiter, um den vollen Ein-
druck des Schauerlichen zu machen. Viel freilich
hängt dabei von der Beleuchtung und noch mehr
vielleicht von der Jahreszeit ab.
Wir sahen ihn bei Sonnenschein. Ein Boot mit zwei
Jägerburschen fuhr über den See; der eine ruderte,
während der andere von Zeit zu Zeit Hornsignale in
den Wald blies.
Ungleich schöner muß es an dieser Stelle sein, wenn
das Laub hin ist und statt der grünen Kronen die
grauverzweigten Buchen ihr Bild in den See werfen.
Am schönsten aber in Sturm- und Winternächten,
wenn der Mond grell-eisig am Himmel steht und statt
des Jagdhorns des Jägerburschen, das eben ver-
klingt, das Hallo des Wilden Jägers über Wald und
See
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