Wanderungen durch die Mark Brandenburg
der Hauptstadt, im Hause seines Vet-
ters, des Archidiakonus Johannes Fromm, kennenge-
lernt, und der Eindruck, den er bei dieser verhält-
nismäßig flüchtigen Begegnung gemacht hatte, war
bedeutend genug gewesen, um bei eintretender Va-
kanz sich seiner in erster Reihe zu erinnern.
Unser Fromm trat, bewillkommt von Magistrat und
Gemeinde, in sein neues Amt ein; drei Jahre später,
1654, ward er zum Mitgliede des geistlichen Konsis-
toriums ernannt, das damals aus dem Ersten Konsi-
storialrat Johann George Reinhardt (nicht zu ver-
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wechseln mit dem starren Lutheraner, Archidiakonus
Elias Sigismund Reinhart), aus dem Hofprediger
Stosch, dem Kammergerichtsrat Seidel und Andreas
Fromm bestand. Gottfried Schardius war Protonotar.
Die ersten Jahre vergingen verhältnismäßig in Frie-
den, die von ihm gehegten Erwartungen erfüllten
sich, und alle gleichzeitigen Zeugnisse sprechen sich
in hohem Maße günstig über seine Gaben und seine
Wirksamkeit als Prediger und Seelsorger aus. Er ü-
bernahm freiwillig den Religionsunterricht in den o-
beren Klassen des Cöllnischen Gymnasiums, benutz-
te die wöchentlichen Betstunden, die Bibel vorzule-
gen und zu erklären, stellte mit seinen Geistlichen
Disputationen an und erwies sich dabei, mehr als es
den Eiferern hüben und drüben lieb war, als ein
Mann des Friedens, der Versöhnung und des schönen
Maßes , dem es am Herzen lag, das echt biblische Christentum an die Stelle des schroff-lutherischen
und schroff-calvinistischen zu setzen.1) Als Luthera-
ner geboren und erzogen, stand er freilich innerhalb
der lutherischen Kirche, aber ohne von der Unan-
tastbarkeit einzelner den Streit nährender und zum
Teil erst in nach -lutherischer Zeit vereinbarten Glaubenssätze durchdrungen zu sein. Die »Formula Con-
cordiae«, die von den wittenbergischen Ultras als
Palladium der reinen Lehre verehrt und als ein rech-
ter Prüfstein für das volle Maß der Rechtgläubigkeit
angesehen ward, erschien ihm lediglich als eine un-
selige Scheidewand zwischen Lutheranern und Calvi-
nisten. Er glaubte, wenn nicht an eine Verschmel-
zung , so doch an eine Versöhnung der beiden Konfessionen, an die Möglichkeit eines einträchtigen Ne-
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beneinandergehens und beklagte deshalb die uner-
bittliche Rechthaberei der Lutheraner, deren Starr-
sinn (um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, wo
der Streit neu aufzuleben begann) die Möglichkeit
einer Ausgleichung oder auch nur eines gegenseiti-
gem Sichgeltenlassens immer weiter hinausrückte.
Widerstand nun schon dieser Starrsinn überhaupt
seiner ganzen, zu Nachgiebigkeit und Kompromiß
geneigten Natur, so widerstrebten ihm ganz beson-
ders die Formen , in denen lutherischerseits der Streit geführt wurde. Die Wittenberger, die »Formula-Concordiae«-Männer, die damals noch keineswegs
die Unterdrückten waren und eher Zwang übten als litten , die Wittenberger, sag ich, waren ihm einfach zu derb, und ihre Parteischriften erfüllten ihn mit
Abneigung und Unbehagen. Titel wie: »Eine unzeiti-
ge, abgeschmackige, falsche Prophetenfeige und
synkretistische, dicke, fette Generallüge, welche sich
neuerdings eingefunden hat etc.« waren damals in
der polemischen Literatur der Wittenberger an der
Tagesordnung, und Ausrufe wie: »Die Calixtiner sind
verdammt« wurden allsonntäglich auf den Berliner
Kanzeln gehört. Diakonus Heintzelmann an der Niko-
laikirche, einer der größten Eiferer, predigte damals
wörtlich: »So verdammen wir denn die Papisten, die
Calvinisten und auch die Helmstädter. Mit einem
Worte, wer nicht lutherisch ist, der ist verflucht.«
Das war nicht ein Auftreten, das dem feineren Sinn
unseres Fromm gefallen konnte; Gesinnung wie
Sprache waren ihm ein Schmerz und ein Greuel, und
er schrieb, als ihm jene Heintzelmannschen Worte
hinterbracht worden waren, an den Hofprediger Ber-
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gius: »Ach, lieber Gott, wo will doch solche Teufelei
endlich hinaus.«
Keineswegs geneigt, wegen einzelner offener Fragen
rundab mit dem Luthertum zu brechen, aber verletzt
durch die Art , in der sich das orthodoxe Luthertum tagtäglich äußerte, bildete sich bei ihm wie von
selbst eine gewisse Hinneigung zu den Reformierten
aus. Sie waren die feineren Leute und deshalb seinem Wesen näher verwandt. Man kann auch heute
noch, innerhalb der politischen Welt, vielfach dassel-
be beobachten. Konservative wie Liberale, die zufäl-
lig in ihrem zunächst gelegenen Kreise
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