Wanderungen durch die Mark Brandenburg
des Kronprinzen
Liebe mehr duldete als erwiderte. Diese Schlußsätze
des prinzlichen Briefes lauten: »So schicke ich Ihnen
denn mein Bild. Ich hoffe, daß es mich wenigstens
dann und wann in Ihre Erinnerung bringen und Sie
zu dem Zugeständnis veranlassen wird: er war au
fond ein guter Junge (un assez bon garçon), aber er
langweilte mich, denn er liebte mich zu sehr und
brachte mich oft zur Verzweiflung mit seiner unbe-
quemen Liebe.«
Diese Worte, die fast wie ein Résumé klingen, sind
mir als besonders charakteristisch erschienen. Ende
Februar verließ der Kronprinz Küstrin, um vorläufig
nicht mehr dahin zurückzukehren.
Die Jahre gingen, andere Zeiten kamen. Das Ver-
hältnis, das einen Winter lang soviel Trost und Freu-
de gewährt hatte, schien tot, und erst sechsund-
zwanzig Jahre später sehen wir den Kronprinzen,
nun König Friedrich, abermals in Tamsel.
Aber wie anders sieht ihn jetzt Tamsel an! Es ist am
30. August 1758, fünf Tage nach der Schlacht bei
Zorndorf. Das Schloß ist von den Russen ausgeplün-
dert, alle Bewohner sind geflohen, der zurückgeblie-
bene Lehrer der Wreechschen Kinder liegt erschlagen
im Park, alles ist wüst, öde, halb verbrannt, und nur
mit Mühe konnt ein Tisch für den König herbeige-
1396
schafft werden. Und jetzt gedenkt er entschwunde-
ner Tage und alter Pflicht und alter Liebe, und ange-
sichts der Zerstörung, die sein Herz an diesem Orte doppelt trifft, richtet er noch einmal einige Zeilen an die schöne Frau. Keine Verse sind eingeschlossen,
aber ein Besseres hat er sich in der Schule des Le-
bens erobert – ein echtes Gefühl. Der Brief selbst
aber lautet:
»Madame! Ich habe mich nach der Schlacht vom 25.
hierher begeben und eine volle Zerstörung an die-
sem Orte vorgefunden. Sie mögen versichert sein,
daß ich alles nur Mögliche tun werde, um zu retten,
was noch zu retten ist. Meine Armee hat sich genö-
tigt gesehen, hier in Tamsel zu fouragieren, und
wenn freilich die verdrießliche Lage, in der ich mich
befinde, es ganz unmöglich macht, für all den Scha-
den aufzukommen, den die Feinde ( vor mir) hier
angerichtet haben, so will ich wenigstens nicht, daß
von mir es heiße, ich hätte zum Ruin von Personen
beigetragen, denen gegenüber ich die Pflicht, sie
glücklich zu machen, in einem besonderen Grade
empfinde. Ich halte es für möglich, daß es Ihnen
selbst, Madame, eben jetzt am Notwendigsten ge-
bricht, und diese Erwägung ist es, die mich be-
stimmt, auf der Stelle die Vergütigung alles dessen
anzuordnen, was unsere Fouragierungen Ihnen ge-
kostet haben. Ich hoffe, daß Sie diese Auszeichnung
als ein Zeichen jener Wertschätzung entgegenneh-
men werden, in der ich verharre als Ihr wohlgewo-
gener Freund Friedrich.«
1397
Frau von Wreech empfing diesen Brief am selben
Tage noch, woraus sich schließen läßt, daß sie auf
einem der benachbarten Güter Zuflucht gesucht hat-
te, denn dem Briefe sind von der Hand der Empfän-
gerin die Worte hinzugefügt: »Empfangen am
30. August 1758, in demselben Jahre, in dem ich
alles verlor, das ich mein nannte« – oder, wie es im
Originale heißt: »L'année où j'ai perdu tout ce que
j'avais dans le monde pour vivre.«
Diese Worte der Frau von Wreech sind charakteristi-
scher, als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen.
Der Brief des Königs hatte zweifellos den Zweck, ein
Trostbrief zu sein; der Ausdruck seiner Teilnahme,
zugleich die Zusage, für alles aufkommen zu wollen,
was die Verpflegung seiner Truppen gekostet hatte, alles das bezeugt genugsam, daß er aufzurichten
wünschte, tatsächlich, aber auch in Worten. Frau von
Wreech indessen, unberührt von dem schönen Inhal-
te des Briefes, scheint nur dem einen bitteren und
niederdrückenden Gedanken gelebt zu haben: Ich
war reich und bin nun arm; ich konnte geben und
helfen und bin nun selber hülfebedürftig.
Es würde gewagt sein, aus der kurzen Notiz: » das
Jahr, in dem ich alles verlor, was ich mein nannte«,
so weitgehende Schlüsse auf die damalige Stimmung
der Frau von Wreech zu ziehen, wenn nicht die Kor-
respondenz, die sich von jenem 30. August an zwi-
schen Jugendfreund und Jugendfreundin entspann,
keinen Zweifel darüber ließe, von welchen Empfin-
dungen das Herz der freilich schwer heimgesuchten
Frau damals ausschließlich erfüllt wurde. Und wenn
1398
die Jugendbriefe des Kronprinzen uns mehr mit der
Empfängerin in Tamsel als mit dem
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