Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Blumenthal ist fast zwei Meilen lang und ziemlich
ebenso breit. Hier und dort aber, wie schon ange-
deutet, unterbrechen Ackerstrecken das Revier und
dringen von rechts und links her bis an die Chaussee
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hin vor. Ungefähr in der Mitte des Waldes treffen von
Nord und Süd her zwei solcher Einschnitte zusam-
men und teilen den Forst in zwei ziemlich gleiche
Hälften, in eine westliche und östliche oder in eine
Werneuchensche und Prötzelsche Hälfte. Die erste ist
die landschaftlich schönere, die andere die historisch
interessantere.
Der schönste Punkt der westlichen Hälfte ist der Ga-
men-Grund. Hier war es, wo Schmidt von Werneu-
chen seine Sommer- und Familienfeste zu feiern lieb-
te. Sein feiner Natursinn bekundete sich auch in der
Wahl dieser Stelle. Sie zeigt eine besondere Schön-
heit, und während sonst der Bau einer Chaussee we-
nig zum Reiz einer Landschaft beizusteuern pflegt,
liegt hier ein Fall vor, wo das Landschaftsbild durch
die durchschneidende Weglinie gewonnen hat. Der
Chausseebau machte nämlich, wenn überhaupt eine
passierbare Straße geschaffen werden sollte, die
Überbrückung des Gamen-Grundes nötig, und da die
Herstellung eines Dammes als passendstes Mittel
erschien, ward ein Viadukt quer durch die Schlucht
geführt, der nun das Hüben und Drüben des Hügel-
landes verbindet. Von der Höhe dieses Viaduktes aus
blickt man jetzt nach links hin in die Wassertiefe des
Gamen- Sees , nach rechts hin in die Waldestiefe des Gamen- Grundes hinab. Der Vorüberfahrende fühlt
sich wie gebannt, und der Eiligste hat es nicht eilig
genug, um nicht ein paar Minuten an dieser Stelle zu
verweilen. Beide Bilder sind schön, auch einzeln be-
trachtet; aber das eine steigert noch die Wirkung des
andern. Nach links hin Klarheit und Schweigen. Der
Gamen-See, wie ein Flußarm, windet sich in leis ge-
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spanntem Bogen zwischen den Tannenhügeln hin,
und nichts unterbricht die Stille als ein plätschernder Fisch, den die Nachmittagssonne an die Oberfläche
treibt. Nach rechts hin Dunkel und Leben. Aus dem
Grunde herauf und bis an die Höhe des Dammes,
beinahe greifbar für unsere Hände, steigen die ältes-
ten Eichen, und während sich die Stämme in Schat-
ten und Waldesnacht verlieren, blitzt die Sonne über
die grünen Kronen hin. Allerhand Schmetterlinge
wiegen sich auf und nieder, und die Vögel singen in
einer Herzlichkeit, als wäre dies das Tal des Lebens
und nie ein Falk oder Weih über den Gamen-Grund
dahingezogen. In der Ferne Kuckuckruf. Und ein
blauer Himmel über dem Ganzen.
Die Westhälfte des »Blumenthals« ist der landschaft-
lich schönere Teil, aber die Osthälfte ist reicher an
Sage und Geschichte. Wir wandern dieser anderen
Hälfte zu. Der Wald hat uns bis an ein Vorwerk be-
gleitet, dessen Stall- und Wirtschaftsgebäude bis
hart an die Chaussee treten. Jenseits derselben fängt
der Wald wieder an. Dies ist die Stelle, die wir su-
chen. Der Weg über den Hof hin wird uns auf Ansu-
chen freundlich gestattet, und hinaustretend in die
halb bebauten, halb brachliegenden Felder, halten
wir, einige hundert Schritte weiter abwärts, vor ei-
nem mit Steinmassen überdeckten Terrain. Dies
Steinfeld ist die sogenannte » Stadtstelle «.
Hier stand vor 500 Jahren das Städtchen Blumen-
thal, das seitdem dem ganzen Walde den Namen
gegeben hat.
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Die ältesten Nachrichten reichen bis auf 1375 zu-
rück, und das Landbuch der Mark Brandenburg führt
»Blumendal« noch unter den Ortschaften des Landes
Barnim auf. Der Umstand aber, daß nur das Areal
des Städtchens angegeben und weder von Abgaben
noch Hofediensten gesprochen wird, spricht dafür,
daß die Feldmark bereits wüst und wertlos zu werden
begann. Die Trefflichkeit der Äcker macht es zwar
wahrscheinlich, daß im Laufe der nächsten Zeit noch
Versuche gemacht worden sind, die wüst geworde-
nen Höfe neu zu besetzen, aber diese Versuche muß-
ten notwendig scheitern. 1348 war das große Ster-
ben gewesen; funfzig Jahre später, als neue Kolonis-
ten mutmaßlich eben anfingen, dem toten Ort ein
neues Leben zu geben, fielen die Pommern ins Land,
und wieder dreißig Jahre später ging der Hussitenzug
mit Mord und Brand über »den Blumenthal« hin. In
achtzig Jahren die Pest, die Pommern und die Hussi-
ten – das war zuviel. Ein Fluch schien über den Ort
ausgesprochen zu sein; er war nun wirklich tot, und
das Mauerwerk zerfiel. Der Wald mit
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