Wanderungen durch die Mark Brandenburg
seines
1917
Glücks präsentierte. Einer von den Gästen fängt
schließlich zu singen an. ›Pst, pst!‹ fallen mehrere
dazwischen, bis ein anderer ruft: ›Singt ihr man. Der
Alte ist schon zu Bette; er hört es nicht mehr.‹ Wie
schnöde gegen den ablebenden, einst so gefürchte-
ten König! Erst nach zwei Uhr sind sie auseinander-
gegangen. Sie, die Mamsell Schultzen, ist ein wahres
Stück Fleisch, und man könnte auf dem Brustwerk
Wache stehen! (Neumann wurde bald vergessen. Er
kaufte das Haus des von Fouqué in Brandenburg und
zog dahin. Die Ehe soll erbärmlich sein, bis zum
Scheiden. Neumanns Glück war aus, aber das des
Kammerhusaren Schöning stieg, steigt noch unter
Belohnung seiner vormaligen geheimen Korrespon-
denz zwischen dem Thron und dessen Erben.)
Nachschrift . Den 16. August ward der König sprach-los und verlor sein Bewußtsein; den 17. in der Nacht
vom Mittwoch auf den Donnerstag um zwei Uhr starb
er; den 18. ward er beigesetzt.
Der große Mann! immer verehrungswürdig, und je-
der neue Tag macht ihn verehrungswürdiger und
unvergeßlich.«
1787
» Im März . Aus dem Kirchenbuche geht hervor, daß
›unechte‹ (Illegitimi) im vorigen Jahrhundert etwas
sehr Seltenes waren. Wie sich die Zeiten ändern!
Niemanden rührt das mehr, ist alltäglich geworden,
1918
und die Prediger dürfen darob nicht murren. Jetzt,
1787, ist Befehl da, es recht laut auf der Kanzel zu
sagen, daß keine Frauensperson darob soll getadelt
werden. Das war eine der ersten Sorgen Friedrich
Wilhelms II. (9. November 1786), daß ›gefallene
Weibspersonen von allem Schimpf und aller Schande
verschont bleiben sollen‹.
Am 28. August kam hier eine Eskadron Husaren von Goltz, sonst Belling, an. Am 30. früh marschierten
sie weiter nach Zachow. Der Stab lag hier, die vier
übrigen Eskadrons auf den nächsten Dörfern. Der
Obrist ist Herr Goeckingk (seit dieser Regierung von
Goeckingk), Bruder des berühmten Dichters Goe-
ckingk. Sie marschieren zur Armee nach Westfalen,
kommen von Stolpe in Pommern, vierundvierzig Mei-
len hinter Berlin, und treffen erst im Oktober in
Westfalen ein.
September 20 . Heute sind die Regimenter zum Ma-
növer angekommen. Friedrich der Große hatte im-
mer schön Wetter. Der heutige Anfang ist schlecht.
September 21. bis 25 . Heute abend wurde in Potsdam des Königs Geburtstag gefeiert. Das 1. Bataillon
Garde führte eine Komödie auf. Zur Illumination hat
die ganze Garnison beigetragen, jeder Stabsoffizier
zwei Louisdor. Das Fräulein von Voß, welches jetzt,
nach Entfernung der Encken (Gräfin Lichtenau), das
Haus des Mylord Mareschal bewohnt, hat dasselbe
auch prächtig illuminiert gehabt.«
1919
Weihnachten 1787
»Dreizehn Jahre stehe ich nun hier im Amt. Mein
Gott! Du zeichnetest mir eine rauhe Bahn meines
Lebens, gabst mir eine ängstliche Seele, mittelmäßig
Brot, verwöhnte Zuhörer, keinen Gönner, starkes
Gefühl der Sittlichkeit, unverletzbare Ehrlichkeit,
strengen Ton im Vortrag, keinen lauten Beifall. Und
doch, mein Vater, diente ich treu, meinte es mit je-
dermann gut. Doch ich stehe ja noch da, tätig, an-
ständig gekleidet, hinlänglich satt, ohne Schulden,
Vater dreier Töchter, deren ich mich nicht schämen
darf, und keiner kann etwas lästern als: ›Du bist ein
Samariter und hast den Teufel.‹ Gelobt sei Gott! Ho-
sianna dem Sohne Davids, mit ihm stehe ich, mit
ihm falle ich. Und nun nur eine Bitte noch: für mich –
verlaß mich nicht im Alter; für die Meinigen – leite sie nach deinem Rat, und nimm sie endlich mit Ehren
an.«
Hiermit schließen wir unsre Auszüge aus Chronik und
Tagebuch. Was den Verfasser derselben angeht, so
muß es immer wieder gesagt werden: es ist nicht
möglich, sich gegen das Charaktervolle seiner Er-
scheinung zu verschließen. Und dadurch flößt er uns
ein tieferes Interesse ein. Er war ein Ehrenmann,
brav, bieder, gerecht; unsentimental, aber voll tiefer
Empfindung, wo Empfindung an der rechten Stelle
war. Ja, was ihm bei seinen Lebzeiten am meisten
1920
bestritten zu sein scheint, er war gütig, opferbereit,
in Wahrheit ein barmherziger Samariter. In Geltow,
selbst am Hungertuche nagend, hatte er die Hungri-
gen seiner Gemeinde gespeist, und jederzeit war es
ihm Herzensbedürfnis, in heißem Gebete Gottes
Gnade für die Unglücklichen anzurufen. Das alles
erhellt aus seinem Tagebuche. Und nichts von eitler
Schaustellung, von bloßem
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