Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Gefühlsgepränge konnte
sich mit einmischen, denn er schrieb dies alles nur
für sich ; kein fremdes Auge, solang er lebte, hat mutmaßlich diese Aufzeichnungen je gesehn.
Eine innerste Bravheit und Tüchtigkeit zieht sich
durch das ganze Buch wie durch das Leben des Man-
nes hindurch, und doch , an derselben Stelle, wo Pastor Schmidt, die Flinte à la main, glücklich gewesen war und glücklich gemacht hatte, wollte ihm weder das eine noch das andere gelingen. Er war unbeliebt,
unpopulär und blieb es bis zuletzt.
Woran lag es? Sonderbar zu sagen, er hatte wohl die
echte charaktervolle, sich an rechter Stelle betäti-
gende Liebe, aber er hatte nicht die leichte Liebens-
würdigkeit und wenn wir Umschau halten, so scheint
es fast als ob bei den Menschen diese leichtwiegende
Tugend schwerer wöge und wichtiger wäre als die
ernstere Schwester. Die skrupulösen Leute, die
nichts leichtnehmen, die wenig lachen, die nie fünf
grade sein lassen, jene korrekten, witz- und humor-
losen Naturen, die sich immer auf den Rechtsstand-
punkt stellen oder wohl gar auf ihr persönliches
Recht sich steifen – diese peinlich-bedrücklichen In-
tegritätsleute sind nie angesehn bei der Masse, wenn
1921
sie nicht nebenher noch eine freigebige Hand haben.
Und diese können sie kaum haben, denn ihre Eigenart besteht eben darin, sich auch beim Geben noch
die Frage »nach dem Rechte« vorzulegen. Vor allem
aber, selbstverständlich, beim Fordern und Empfan-
gen. Und dies ist das Allerschlimmste. Statt über das
hinzugehen, was ausbleibt, empören sie sich bestän-
dig über die Unbill , die in diesem Ausbleiben liegt, und unter Mißmut, Gereiztheit, Bitterkeit vergehen
ihnen die Tage, niemandem zur Freude, am wenigs-
ten sich selbst.
Dieser Gruppe von Freudlosen gehörte auch unser
Pastor Moritz an; er hatte keine Spur von jener
christlich-leuchtenden Serenität, die dem liebens-
würdig angelegten Naturell aus dem »sie säen nicht,
sie ernten nicht« erwächst, und so bracht er es denn
mit seiner ganzen Korrektheit in Geldsachen, mit
seinen Klagen, Vorstellungen und Protesten, die im-
mer nur darauf hinausliefen, daß der Heckenzaun
noch nicht gemacht und die Tonne Most noch nicht geliefert worden sei, zu nichts andrem, als daß man
ihn für einen unerquicklichen Geizhals hielt. Er war es nicht (im Gegenteil, er gab, er half), aber man
darf sagen, er hatte die Allüren des Geizes. Und an
dieser Stelle ist der Bauer am empfindlichsten, deshalb am empfindlichsten, weil er sich am besten selbst darauf versteht und jede kleine Nuance, nach
selbsteigner Praxis und Erfahrung, am leichtesten
entdecken und verfolgen kann.
Noch einmal, an einer gewissen ablehnenden Nüch-
ternheit, an einem cholerisch gearteten Rechtsge-
1922
fühl, das schließlich, als das Feuer verglüht war, in
eine Art von Melancholie umschlug, scheiterte unser
Pastor Moritz – es bewährte sich an ihm: unser Glück
oder Unglück wurzelt in unsrem Charakter. Ohne
Liebe sank er hin.
Aber wir Nachgebornen stehen anders zu ihm, und
dem Bedrücklichen seines Wesens entrückt, können
wir uns an seiner Bravheit und Tapferkeit aufrichten,
an ihm messen. Er war in vielen Stücken ein guter
Typus seiner Zeit und speziell auch des märkischen
Charakters.
Die glücklich geänderten Zeiten werden von selbst
dafür Sorge tragen, daß die Schwächen der Männer
jener Epoche sich in uns mindern, Schwächen, die in
der Sterilität des Bodens und aller Lebensverhältnisse ihren Grund hatten. Aber an uns ist es, dafür zu
sorgen, daß ihre Vorzüge uns verbleiben: ihre Ein-
fachheit, ihre Festigkeit, ihr Haushalten und ihre
Treue.
Sacrow
Nach den Tagebuchaufzeichnungen
eines havelländischen Landgeistlichen1)
1923
Erröten ließ er die bescheidne Schande
In ihrem ehrbar schonenden Gewande
Und zog der Lust den Schleier vom Gesicht.
Annette Droste-Hülshoff
Sacrow unter dem Grafen Hordt
von 1774 bis 1779
Sacrow, als ich dies Filial erhielt, befand sich im Be-
sitze des schwedischen Grafen Hordt; seine Gemah-
lin war eine Gräfin Wachtmeister. Gleich nach Emp-
fang meiner Vocation schrieb ich von Geltow aus an
den Grafen und bat für Sacrow um sein Accessit. Es
hieß in meinem Briefe: »Ich weiß, daß das Dorf Sac-
row eine ecclesia vagans ist; ich respektiere diese
Independenz und sehe die Collation als eine freie
Gnade an. Wenn Euer Hochgeboren nichts mehr ver-
langen als einen Mann, der in seinem
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