Wanderungen durch die Mark Brandenburg
den Ferien
zu Fuß besuchte. Wie er als Hirt seine Gemeinde ge-
führt, weiß ich nicht. Den Pfarrgarten verwaltete er
so, daß bald kein Obstbaum, kein Stachelbeerstrauch
mehr übrigblieb, weil bei der Unausreichendheit sei-
ner Kircheneinnahmen für Holz und Torf alles in den
Ofen wandern mußte. Seiner Richtung nach war er,
wie sonst im Leben, auch auf religiösem Gebiet ein
Schöngeist und für Schleiermacher enthusiasmiert.
Während der Predigtzeit durften wir nicht ins Freie
gehn – sonst aber unterließ er es, auf unser religiö-
ses Bewußtsein einzuwirken.
Meine Hauptlektüre bestand damals in Reisebe-
schreibungen. Ein besonderes Entzücken gewährten
mir die afrikanischen Entdeckungsreisen ins Kapland
von Levaillant und besonders die von Mungo Park am
Niger, nach Timbuktu hin, ein Buch, darin ich noch
vor kurzem mit Vergnügen geblättert habe. Als
Quartaner las ich viel über Ägypten, infolgedessen
ich meiner Mutter auf ihre Frage, ›was ich werden
wollte‹, zuversichtlich erklärte, daß ich vorhätte,
nach Kairo zu gehn und die Pyramiden zu erforschen.
Ja, ich fing an, Geld zu sparen, um seinerzeit die
Reise beginnen zu können.
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Schinkel besuchte um diese Zeit jährlich seine
Schwester in Ruppin und kam auch mal ins Haus
meines Vaters, was darin seinen Grund haben moch-
te, daß eine Nichte von ihm mit einem Bruder meiner
Mutter verheiratet war. Trotz meiner Jugend ist mir
doch seine Erscheinung unvergeßlich im Gedächtnis
geblieben.
Einige Jahre später saß ich, eine Nacht hindurch, mit
Christian Rauch im Postwagen zusammen (zwischen
Halle und Potsdam), und auch seine Züge prägten
sich mir ein, ja, ich erinnere mich noch einiger seiner Gespräche. Durch einen Ruppiner Landsmann, der in
seinem Atelier Dienste tat, fand ich Gelegenheit, sei-
ne Werkstatt zu besichtigen, und bekam sogar die
Rauchsche Goethe-Statuette geschenkt, die ich nun,
wie ein Kleinod, mit heimnahm und während der
Nachtfahrt von Berlin nach Ruppin in dem unbeque-
men Marterwagen keinen Augenblick aus den Hän-
den ließ. Die Statuette, die ich noch besitze, habe ich oft, wenn ich aus der Schule nach Hause kam, mit
Freude betrachtet.
Als Sekundaner benutzte ich die Ferien, um, der Six-
tinischen Madonna halber, zu Fuß nach Dresden zu
wandern. Ich hatte gelesen, daß das Bild von Raffael
das schönste der Welt wäre. Welch Genuß mußte es
sein, dasselbe zu sehn! Bilder auch zu verstehn
schien mir selbstverständlich. Ich war daher verwun-
dert, daß mir andere Bilder der Galerie noch besser
gefielen. Sie lagen wohl meinem Verständnis näher.
Und als etwas Eigentümliches muß ich es auch an-
sehn, daß mir die Elginschen Abgüsse der Parthenon-
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Figuren des Phidias schon damals einen sehr großen
Eindruck machten. Vielleicht trug die Liebe für klassi-
sches Altertum, die der Direktor des Ruppiner Gym-
nasiums, Professor Dr. Starke, uns einzuflößen ver-
standen hatte, nicht unwesentlich dazu bei, desglei-
chen die häufige Lektüre Lessings, Goethes und be-
sonders Winckelmanns, dessen Geschichte der grie-
chischen Kunst ich damals mit Vorliebe studierte.
Etwas später, als Primaner, reiste ich in den Ferien
nach Kopenhagen, um Thorwaldsens Werke kennen-
zulernen. Bis Lübeck ging's zu Fuß. Dort empfing ich,
angesichts der schönen Kirchen und Rathäuser, zu-
erst eine Ahnung mittelalterlicher Kunst.
Die heimatliche Mark, so großen poetischen Genuß
sie auch durch ihre Seen, Wälder und Wiesen gewäh-
ren kann, ist doch andererseits nicht geeignet, uns
die Romantik des Mittelalters nahezubringen. Daher
blieb mir denn auch bis ins reifere Mannesalter hin-
ein die strenge Kunst (die recht eigentlich vaterländi-
sche) der Dürer und Holbein fremd. Jetzt freilich
glaube ich zu verstehn, daß die Holbein, Dürer und
van Eyck auch ein Höchstes in der Kunst geleistet
haben. Bessere Zeichnungen, das heißt charakteris-
tischere, als die Portraits von Holbein in Basel kann
ich mir in ihrer Art nicht vorstellen.
Ehe ich das Abiturientenexamen nicht gemacht, durf-
te ich auch Ruppin nicht verlassen. Nun aber war der
Moment der Freiheit da. Ich erinnere mich noch des
seligen Gefühls, als ich im Postwagen saß und mei-
ner Vaterstadt Lebewohl gesagt hatte. Mit den übri-
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gen Personen, die den Postwagen füllten, ein Wort zu
sprechen war mir unmöglich, und ich mußte Bemer-
kungen über mein schroffes und
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