Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Schreck
und Gewissen hatten ihn getötet. (Ich bin
seitdem in der Kampehler Kirche gewesen
und kann diese Geschichte leider nicht bestä-
tigen. Herr von Kalbutz liegt mit gefalteten
Händen da, die Finger beider Hände wie in
eins zusammengewachsen. Im übrigen er-
zählte mir der Küster von der großen Popula-
rität dieser Mumie; Handwerksburschen aus
aller Herren Länder, die durch Kampehl zö-
gen, ermangelten nicht, sich den Herrn von
Kalbutz anzusehn, den sie alle als ein Kurio-
sum der Mark Brandenburg kennen.)
Julie von Voß
Julie von Voß, Tochter des Geheimen Justizrats und
ehemaligen Gesandten am königlich dänischen Hofe,
Friedrich Christoph Hieronymus von Voß, Herrn auf
Buch, Karow etc., wurde den 24. Juli 1766 zu Buch
geboren.1)
Über ihre Jugend und Erziehung verlautet nichts, und
wir hören erst von ihr, als sie 1783 auf den Wunsch
der alten Königin Elisabeth Christine, Gemahlin
Friedrichs des Großen, an den Schönhauser Hof e-
bendieser alten Königin kam.
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Julie von Voß war eine Schönheit im Genre Tizians,
schlank und voll zugleich, von schönen Formen und
feinen Zügen, blendend, aber von einer marmorähn-
lichen Blässe, die noch durch ein überaus reiches
rötlichblondes Haar gehoben wurde. Bei Hofe hatte
sie den Beinamen Ceres, sehr wahrscheinlich um
dieses üppigen goldnen Haares willen, in dessen
Schmuck auch die Bilder2) sie darstellen, die noch
von ihr erhalten sind.
Es paßte zu dieser ihrer Erscheinung, daß sie eine
Vorliebe für alles Englische und eine Abneigung ge-
gen alles Französische hatte, was ihr denn auch sei-
tens der französischen Memoirenschriftsteller jener
Epoche, Mirabeau an der Spitze, nachgetragen wur-
de. Der ihr oft gemachte Vorwurf der »Anglomanie«
traf sie jedoch durchaus nicht; sie vermied es nur
nach Möglichkeit, sich der damals allgemein üblichen
französischen Sprache zu bedienen.
Der Prinz von Preußen, später König Friedrich Wil-
helm II., zeigte sich allem Anscheine nach gleich
vom ersten Augenblick an enchantiert, denn schon
wenige Monate nach dem Erscheinen Juliens am Hofe
begegnen wir im Tagebuch ihrer Tante den folgenden
Aufzeichnungen.
1784 und 1785
»Julie gefällt dem Prinzen mehr, als mir lieb ist. Er
spricht viel von ihr. Ich fürchte, sie ist nicht unemp-
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findlich für seine Bewundrung, und sie wird sich
durch ein solches Gefühl nur selbst unglücklich ma-
chen.« Einige Wochen später: »Die Prinzessin von
Preußen ist eifersüchtig auf Julie.« Endlich im De-
zember 84: »Ich hatte eine lange Unterredung mit
dem Prinzen und hielt ihm sein Unrecht vor, Julie mit
seiner Leidenschaft zu verfolgen; ich sagte ihm, daß
er sie dadurch nur unglücklich machen werde, ja, ich
sagte ihm meine ganze Meinung und die ganze Wahrheit mit allem Ernst. Er versprach mir, sein Benehmen zu ändern und alles zu tun, was ich wollte.
Er hatte später noch eine Explikation mit Julie selbst, und ich weiß, daß sie ihm Vorwürfe gemacht hat,
und mit Recht, daß er ihrem Ruf auf eine unverzeih-
liche Weise schade. Auch kam er sehr traurig und
niedergeschlagen von ihr zurück. Ich sagte ihm noch
einmal ernstlich, er müsse dieser Sache ein Ende
machen, und er gelobte es mir.«
Eine gewisse Zeit scheint der Prinz sein Versprechen
auch wirklich gehalten zu haben, aber nicht auf lan-
ge. Schon im Frühjahr 85 ist die Oberhofmeisterin
aufs neue beunruhigt und schreibt:
»Der Prinz spricht wieder mehr mit Julie; das muß
aufhören. Im Grunde fürcht ich vor allem, daß sie
selbst sich innerlich nicht recht von ihm frei machen
kann.« Und einige Wochen später: »Der Prinz kommt
ewig zur alten Königin nach Schönhausen, und ich weiß, das alles geschieht doch nur wegen Julie. Ich
besorge, er gibt sie noch nicht ganz auf und sinnt
nur darüber nach, ob es gar keine Hoffnung mehr für
ihn gebe. Wenn nur nicht, trotz all seiner Verspre-
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chungen, diese Sache sich doch noch zum Unheil
wendet! Man müßte Julie durchaus vom Hofe entfer-
nen.«
1786
Das Jahr 86 war das entscheidende. Hier sind auch
die Tagebuchaufzeichnungen am zahlreichsten. Es
werden wiederholentlich von seiten des Prinzen
Rückzugsversprechungen gemacht, aber nur, um sie
gleich darauf durch die Tat zu widerlegen.
» März 86. Der Prinz tut mir leid; aber trotz seiner Leidenschaft für Julie macht er sich doch von der
Liaison mit seiner sogenannten Freundin (der Rietz,
späteren Lichtenau)
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