Wanderungen durch die Mark Brandenburg
nicht los. – Der Prinz ist un-
glaublich zerstreut; seine Neigung nimmt seine Ge-
danken ganz gefangen. – Der Prinz kam zum Diner
nach Schönhausen und schien nichts zu sehen als
Julie. – Ich habe das Gefühl, als finge die Sache da
wieder an, wo sie mit Mühe zum Abschluß gekom-
men war.
April 86. Der Prinz kam zu Tische, nachher machte er es möglich, mit ihr zu sprechen. Nach einigen Worten verlor sie die Fassung und brach in Tränen aus.
Ich verstehe das alles nicht mehr. – Der Prinz weiß
sich nicht recht zu beherrschen, er ist eifersüchtig
und aufgeregt, sobald Julie einmal nicht da ist oder
sich ihr jemand nähert. – Ich habe den Prinzen an
das erinnert, was er seit einiger Zeit zu vergessen
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scheint, und er versprach es von neuem. Er ist doch
sehr gut! Gott gebe, daß es so bleibt, wenn er erst
König ist.
Mai 86. Der arme Prinz, er ist schrecklich unglücklich. Heute kam er wieder, und als er Julie sah,
schien er so glücklich! – Der Prinz kommt ewig zur
Königin; was soll man tun? Es wird immer schlimmer
mit ihm, und Julie dauert mich furchtbar. – Mir
scheint seine Leidenschaft täglich zu steigen. Er
kommt jetzt oft für den ganzen Tag nach Schönhau-
sen und hat nur das einzige im Kopf.«
Die Oberhofmeisterin, davon ausgehend, daß eine
Trennung vielleicht helfen werde, setzte nunmehr
einen dreimonatlichen Urlaub für ihre Nichte durch,
und diese verließ Berlin. Aber es führte zu nichts.
Der Prinz und Julie korrespondierten, und als der
Urlaub abgelaufen und Julie wieder zurück war,
schrieb die Oberhofmeisterin in ihr Tagebuch: »Es ist
alles beim alten.«
Diese Notiz ist vom 15. August 1786. Zwei Tage spä-
ter starb Friedrich, und der Prinz von Preußen war
nun König . Huldigungen, Feste, Geschäfte dringen auf ihn ein, aber seine Gefühle für Julie von Voß
bleiben dieselben. Schon eine Woche nach dem Re-
gierungsantritt verkehrt er wieder in Schönhausen
und setzt seine Bewerbungen fort.
»August 86. Der König kommt, sooft er kann, zur Königinwitwe nach Schönhausen und geht dann mit
Julie im Garten spazieren. Sie ist still und zurückhal-
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tend, was mich freut und in etwas beruhigt. – Die
Prinzessinnen tun dem König einen sehr unerlaubten
Gefallen, indem sie ihn immer mit Julie zusammen-
bringen. Sie schicken die Königin voraus und be-
schäftigen sie, nur damit er mit meiner Nichte gehen
und mit ihr sprechen kann. Das ist ein schlechtes
Spiel. Der König hat der Prinzessin Friederike eine
Zulage und ihr außerdem noch die kleine Viereck zur
Hofdame gegeben, einzig und allein um Julien eine
Freude zu machen, deren Freundin sie ist.
Oktober 86. Der König kam und wollte mit mir sprechen, aber er ist so ganz voll von dem einzigen Ge-
danken, daß er nichts weiter hört und sieht. Ich ge-
stehe, daß ich jetzt alle Geduld mit ihm verliere und
diesen Zustand unerlaubt und unverzeihlich finde. –
Die Königin will gern in die Stadt zurück; der König
will aber, sie soll noch in Schönhausen bleiben, bloß
wegen seiner geliebten Spaziergänge mit Julie. Ich
bin ganz ratlos und unglücklich über dies immer er-
neute Anknüpfen einer ganz unmöglichen Sache!
November 86. Alles bemächtigt sich dieser unglücklichen Angelegenheit; so möchte man, um nur eins zu
nennen, Julie zum Schein verheiraten. Es ist schreck-
lich, wie alles bemüht ist, sie zu ihrem Verderben zu drängen. Sie tut mir furchtbar leid. – Ich seh es jetzt deutlich, sie liebt den König trotz all ihres Leugnens; sie kann nicht mehr von ihm lassen und ist, was
auch geschehen mag, nicht mehr von ihm loszurei-
ßen. Es grämt mich schrecklich. – Heute kam er en
surprise zum Essen. Er verfolgt seinen Zweck ohne
Rast und Ruh. – Ich fürchte den Einfluß dieser ewi-
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gen Gespräche des Königs mit ihr, er will und will sie
bestricken, und immer setzt er sich an ihren Tisch.
Das mißfällt mir ganz unbeschreiblich von ihm. –
Meine arme Nichte hat mir ihr Herz ausgeschüttet;
ach, ich fürchte, es ist eine unaufhaltsame Sache. –
Der König geht heute nach Potsdam. Er kam vorher
zu uns und war unruhig, weil er Julie nicht zu sehen
bekam. Er liebt sie toller und leidenschaftlicher als
je.
Dezember 86. Nach Tisch sprach der König lange mit meiner Nichte; ach, ich fürchte, es nimmt ein trauriges Ende für sie und für die Ehre der Familie. – Ich
hab es immer und immer gesagt: man hätte sie nicht
bei Hofe lassen
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