Wanderungen durch die Mark Brandenburg
an sich selbst
erstarb.
Wir treten nun aus diesem Eßsaal wieder in die Halle
zurück. Zur Linken derselben befinden sich ebenfalls
zwei Zimmer, die Zimmer der Königin . Sie sind verhältnismäßig noch wohlerhalten und geben einem ein
deutliches Bild von der »Élégance« jener Tage. Beide
Zimmer sind durch eine Tür von Eichenholz mitein-
ander verbunden, wie denn auch niedrige Eichen-
holzpaneele die Wände bekleiden, während in den
vier Ecken oben vier Lyras angebracht sind, die so
geniert dreinsehen, als befänden sie sich lieber wo-
anders. Und doch haben sie wenigstens Gesellschaft:
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zwei Basreliefs (in jedem Zimmer eins), die sich als
Wandschmuck zwischen Kamin und Decke schieben.
Das eine stellt eine »Toilette der Venus«, das andere
eine »Venus-Feier« dar. Auf jenem erblicken wir
nichts als die herkömmlichen Amoretten, schnäbeln-
de Tauben, Rosenguirlanden etc., das zweite dage-
gen tut ein übriges, und nackte Gestalten von ganz
unglaublichen Formen umtanzen eine Venus-Statue,
während ein Satyr von hinten her eine Bacchantin
umklammert und die Widerstrebende zum Tanze
zwingt. An anderem Orte würde dieser lustige Hei-
denspuk wenig bedeuten, hier im Schlosse zu Wust-
erhausen aber nimmt er sich wunderlich genug aus
und paßt seltsam zu dem Waschbecken drüben mit
dem dicken steinernen Stöpsel.
Das erste dieser Zimmer, das sich mit der »Toilette
der Venus« begnügt, führt durch eine Seitentür auf
eine Art Rampe, die ziemlich steil nach dem Park hin
abfällt. Diesen Weg machte wahrscheinlich der Kö-
nig, wenn er in seinem Gichtstuhl in den Garten hin-
ein- und wieder zurückgerollt wurde. Bekanntlich war
Treppensteigen nicht seine Sache.
Wir aber treten jetzt ebenfalls ins Freie hinaus und
atmen auf im Sonnenlicht und in dem Wiesendufte,
den eine Luftwelle herüberträgt. Eine mächtige alte
Linde, hart zu Füßen der Rampe, ladet uns ein, unter
ihrem Zweigwerk Platz zu nehmen, und wir sitzen
nun mutmaßlich unter demselben Blätterdach, »un-
ter dem die Damen, wenn's regnete, bis an die Wa-
den im Wasser saßen«. Die Parkwiese liegt vor uns,
Hummel und Käfer summen darüber hin, und das
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Mühlenfließ uns zur Rechten fällt leis über das Wehr.
Träume nehmen den Geist gefangen und führen ihn
weit, weit fort in südliche Lande, zu Tempeltrüm-
mern und Götterbildern. Aber ein Satyr lauscht plötz-
lich daraus hervor. Es ist derselbe, der der tanzen-
den Bacchantin da drinnen im Nacken sitzt und sie-
he, die Prosabilder von Schloß Wusterhausen schie-
ben sich plötzlich wieder vor die Bilder klassischer
Schönheit.
Hatte die Memoirenschreiberin doch recht? Ja und nein. Ein prächtiger Platz für einen Weidmann und
eine starke Natur, aber freilich ein schlimmer Platz
für ästhetischen Sinn und einen weiblichen esprit
fort.
1. Prinzessin Wilhelmine (die Markgräfin) erzählt
an einer andern Stelle ihrer Memoiren: »Ich
war all die Zeit über so leidend, daß ich versi-
chern darf, zwei Jahre lang von nichts ande-
rem als Wasser und trocken Brot gelebt zu
haben.« Ähnliche Klagen wiederholen sich. Es
ist aber, aller Sparsamkeit oder meinetwegen
auch alles Geizes des Königs unerachtet, nicht
sehr wahrscheinlich, daß es so knapp in
Wusterhausen hergegangen sein sollte. Der
König war ein sehr starker Esser, und alle
Personen von gutem Appetit haben die Maxi-
me: »Leben und leben lassen.« Außerdem
liegen glaubhafte Berichte vor, aus denen sich
ganz genau ersehen läßt, was an Königs Tisch
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gespeist wurde. Es gab: Suppe, gestovtes
Fleisch, Schinken, eine Gans, Fisch, dann Pas-
tete. Dazu sehr guten Rheinwein und Ungar.
In Wusterhausen kamen noch, weil es die
Jahreszeit mit sich brachte, Krammetsvögel,
Leipziger Lerchen und Rebhühner hinzu, be-
sonders auch Früchte zum Dessert, darunter
die schönsten Weintrauben. Das klingt schon
einladender als die Beschreibung der Prinzes-
sin.
2. Teupitz
Winde hauchen hier so leise,
Rätselstimmen tiefer Trauer.
Lenau
Teupitz verlohnt eine Nachtreise, wiewohl diese
Hauptstadt des »Schenkenländchens« nicht das
mehr ist, als was sie mir geschildert worden war.
All diese Schilderungen galten seiner Armut. »Die
Poesie des Verfalls liegt über dieser Stadt«, so hieß es voll dichterischen Ausdrucks, und die pittoresken
Armutsbilder, die mein Freund und Gewährsmann
vor mir entrollte, wurden mir zu einem viel größeren
Reiseantrieb
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