Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Lindenbäu-
me ragten bis zur Fensterbrüstung auf, so daß ich
meinen Kopf in ihrem Blattwerk verstecken konnte.
Drüben, an der andern Seite der Straße, zog sich
einer der Kavalierflügel des Schlosses entlang. Er
war ganz in weiß' und roten Rosen geborgen und
seine Oberfenster geöffnet; Licht und Musik drangen
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hell und einladend zu mir herüber. In schräger Rich-
tung dahinter standen Pappeln und hohe Baumgrup-
pen, und zwischen ihrem Laubwerk wurd ich des al-
ten Schloßturms ansichtig, »des Diebswinkels, von
einer Räuberbande erbaut«. War es wirklich so arg
mit ihm? Er stand da, mondbeschienen, mit der
friedlichsten Miene von der Welt, eher an Idyll und
goldene Zeiten als an Fegfeuer und Hölle gemah-
nend.
Es war noch nicht spät und der Weg nicht zwei Minu-
ten weit. So beschloß ich, noch einen Abendbesuch
zu machen und die jetzt freilich von holdem Dämmer
umwobene Wirklichkeit des Schlosses mit der Be-
schreibung seiner ehemaligen Bewohnerin zu ver-
gleichen. Ich trat in den weiten Vorhof ein. Da lagen
die Flügel rechts und links, vor mir Brück und Graben
und dahinter, großenteils versteckt, das Schloß
selbst. Die Bären fehlten, der Springbrunnen auch.
Keine Stufen zeigten sich mehr, auf denen irgendwer
seine Abendpfeife hätte rauchen können; nur eine
weiße Pumpe stand inmitten eines Fliederbosquets
und nahm sich besser aus, als Pumpen sonst wohl
pflegen.
Ich näherte mich der Brücke, von der aus ich die
Fundamente des Schlosses in dunklen Umrissen, die
Giebel aber, auf die das Mondlicht fiel, in scharfen
Linien erkennen konnte. Was zwischen Giebel und
Grundmauer lag, blieb hinter Bäumen versteckt. Der
»Styx« existierte nicht mehr; halb zugeschüttet, war
aus dem Graben ein breiter Streifen Wiesenland ge-
worden. Allerlei blühende Kräuter würzten die Luft,
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und im Rücken des Schlosses, wo die Notte fließt,
hört ich deutlich, wie das Wasser des Flüßchens über
ein Wehr fiel.
Ich kehrte nun in die Straße zurück und setzte mich
unter die Linden des Gasthauses. Das war keine
»Hölle«, was ich gesehn, oder aber die Beleuchtung
hatte Wunder getan.
Der Wirt setzte sich zu mir, und angesichts des
Schlosses, dessen Turmdach uns argwöhnisch zu
belauschen schien, plauderten wir von Wusterhau-
sen.
In alten, wendischen Zeiten stand hier ein Dorf na-
mens »Wustrow«, eine hierlandes sich häufig finden-
de Lokalbezeichnung. Als die Deutschen ins Land
kamen, gründeten sie das noch existierende Deutsch
Wustrow, zum Unterschiede von Wendisch Wustrow, schließlich aber wurden beide Worte durch ein angehängtes »hausen« germanisiert, und Deutsch und
Wendisch Wusterhausen waren fertig.
Wendisch Wusterhausen, nur mit diesem haben wir
es zu tun, wurd eine markgräfliche Burg. Sie vertei-
digte – wie »Schloß Mittenwalde«, von dem wir in
einem der nächsten Kapitel sprechen werden – den
Notte-Übergang und war eine der vielen Grenzbur-
gen zwischen der Mark und der Lausitz.
Wendisch Wusterhausen blieb markgräfliche Burg bis
gegen 1370, und es ist eher wahrscheinlich als nicht,
daß der alte, von der Prinzessin als »Diebswinkel«
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bezeichnete Turm bis in jene markgräfliche Zeit zu-
rückdatiert. Etwa 1375 kamen die Schlieben in den
betreffenden Besitz, eine Familie, die damals in der
Umgegend reich begütert war. Sie besaßen es ein
Jahrhundert lang, auch während der Quitzow-Zeit,
ohne daß besondere »Räubertaten« aus dieser ihrer
Besitzepoche bekannt geworden wären.
1475 kauften es die Schenken von Landsberg, dama-
lige Besitzer der Herrschaft Teupitz, aus deren Hän-
den es, kleiner Mittelglieder zu geschweigen,
1683 an den Kurprinzen Friedrich, den späteren Kö-
nig Friedrich I., kam. Dieser aber überließ es 1698
seinem damals erst zehn Jahr alten Sohne, dem spä-
teren König Friedrich Wilhelm I.
Friedrich Wilhelm I. nahm Wendisch Wusterhausen
von Anfang an in seine besondere Affection und hielt
bei dieser Bevorzugung aus bis zu seinem Tode. Was
es jetzt ist, verdankt es ihm , dem »Soldatenkönig«; Straßen- und Parkanlagen entstanden, und mit Recht
wechselte der Flecken seinen Namen und erhob sich
aus einem Wendisch Wusterhausen zu einem Königs
Wusterhausen.
Königs Wusterhausen ist vielleicht mehr als irgendein
anderer Ort, nur Potsdam ausgeschlossen, mit der
Lebens- und Regierungsgeschichte König Friedrich
Wilhelms I. verwachsen. Hier ließ er als Knabe
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