Wanderungen durch die Mark Brandenburg
er andren Tags. Diese Ge-
schichte mag sich einmal ereignet haben, ir-
gendwo vielleicht, aber schwerlich in Köpe-
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nick, und sie würd über das alte Spree-Schloß
immer hinweggezogen sein, wenn nicht beim
Neubau des Schlosses die Errichtung der A-
donis-Statue mit dem Eberkopf die Sage
plötzlich fixiert und ihr Anlehnung und eine
neue Heimat geboten hätte. So kommt es,
daß man an den verschiedensten Orten den-
selben Geschichten begegnet; die meisten
dieser Orte sind gleichsam nur Filial, und der
Mutter-Sagenort ist oft schwer zu bestimmen.
– Der Medusenkopf am Portal alter Schlösser
hat gewiß schon oft als schlangenumwundnes
Portrait hartherziger Schloßherrn gelten müs-
sen, und der alte Herr von Hake hat unzwei-
felhaft Kameraden in allen Ländern. Der Satz,
den ich aufstellen möchte, ist der: Das Volk
hat eine Neigung, Allgemeines oder wenigs-
tens an vielen Orten sich Findendes zu lokali-
sieren , sobald gewisse Bedingungen erfüllt,
gewisse äußerliche Anhaltepunkte für diese
Lokalisierung gegeben sind.
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Großbeeren
»Unsre Gebeine sollen diesseits
Berlin bleichen, nicht jenseits.«
General von Bülow
Zwei Meilen südlich von Berlin liegen die berühmten
Felder von Großbeeren. Wer häufiger die Eisenbahn
benutzt die daran vorüber ins Anhaltische und Säch-
sische führt, wird es nicht selten erlebt haben, daß
Fremde, die bis dahin lesend oder plaudernd in der
Ecke saßen, plötzlich sich aufrichten und, mit dem
Finger auf die weite Ebene deutend, halb zuversicht-
lich, halb frageweise die Worte sprechen: »Ah, c'est
le champ de bataille de Großbeeren!«
Und wie die Fremden davon wissen, so natürlich vor
allem auch die Berliner, die den »Tag von Großbee-
ren« an jedem 23. August in pflichtschuldiger Dank-
barkeit feiern. Aber sie feiern ihn, ohne sich zu ver-
gegenwärtigen, wie der Sieg errungen wurde. Niemand weiß mehr von den Einzelnheiten oder gar von
dem Gesamtgange der Schlacht zu berichten, und
was von den Berlinern gilt, gilt auch von den Bewoh-
nern des Dorfes selbst. Ich trieb mühevoll einen Ta-
gelöhner auf, der den Schlachttag noch miterlebt
und aus seinem Versteck heraus ein paar Tschakos
oder Bajonettspitzen gesehen hatte. Das war alles.
Über die gleichgültigsten Details hinaus war seinem
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Gedächtnis nichts verblieben. Vollends verloren aber
ist der , oder war es wenigstens früher, der von den beiden in Nähe der Kirche stationierten Invaliden
irgendwelchen Aufschluß erwartete. Sie wußten ab-
solut nichts von jenem Schlachtfelde, das jahraus,
jahrein zu ihren Füßen lag und dessen bestellte
Wächter sie waren, und nichts von jenem Kirchhof,
um dessen Besitz einst so heiß gestritten ward.
Und so mag sich denn im nachstehenden ein Über-
blick über die damalige politisch-militärische Situati-
on und daran anschließend eine kurze Beschreibung
der »Bataille« geziemen.
Die Schlacht bei Großbeeren
am 23. August 1813
Napoleon, als der Waffenstillstand abgelaufen und
Österreich dem Bündnisse Rußlands und Preußens
beigetreten war, richtete sein Hauptaugenmerk auf
Berlin. Er beschloß, sich desselben zu bemächtigen,
und ordnete zu diesem Zwecke die Bildung einer aus
dem 4., 7. und 12. Corps bestehenden Armee an, an
deren Spitze er den Marschall Oudinot stellte. »Sie
werden mit einer solchen Armee«, hieß es in einer
dem Marschall um die Mitte des August zugebenden
Generalordre, »den Feind rasch zurückdrängen, Ber-
lin einnehmen, die Einwohner entwaffnen, die Land-
wehr auflösen und die Haufen schlechter Truppen
zerstreuen.« Infolge dieser Ordre betrat Oudinots
Armee, deren Sammelplatz Luckau gewesen war,
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am 19. die Mark, rückte gegen Baruth und stand
am 22. abends in dreimeiliger Entfernung von Berlin:
das 4. Corps Bertrand bei Jühnsdorf, das 7. Corps
Reynier bei Wietstock, das 12. Corps Oudinot zwi-
schen Trebbin und Thyrow. Oudinot nämlich, wie
gleich hier hervorgehoben werden mag, hatte nicht
bloß den Oberbefehl über das Ganze, sondern auch
noch den Spezialbefehl über das letztgenannte
12. Corps.
Am andern Tage sollte der Vormarsch gegen Berlin
fortgesetzt werden, zu dessen Schutze die vom
Kronprinzen von Schweden (Bernadotte) komman-
dierte Nordarmee zwischen Ruhlsdorf, Heinersdorf
und Blankenfelde Stellung genommen hatte. Der
nächste Tag mußte voraussichtlich einen ernsten,
vielleicht sogar den entscheidenden
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