Wanderungen durch die Mark Brandenburg
begegnen, und
alles, was das Leben, und nicht bloß das Leben einer
kleinen Dorfgemeinde, zu bringen vermag, das bringt
es auch: Krieg und Pest und Wasser- und Feuersnot
und Mißwachs und Mißgeburten. Und daneben Un-
glück über Unglück, heut auf dem Gröbener und
morgen auf dem Siethener See. Fischer ertrinken,
Brautzüge werden vom Sturm überrascht, und in
Winterdämmerung Verirrte brechen ein in die kaum
überfrorenen Lunen oder erstarren in dem zusam-
mengewehten Schnee. Dazu Mord und Brand und
Stäupung und Enthauptung und auf jedem dritten
Blatte das alte Lied von Ehebruch und »Illegitimitä-
ten« aller Art, an die sich dann regelmäßig und wie
das Amen in der Kirche die pastoralen und meist
invektivenreichsten Verurteilungen knüpfen. Aber
immer im Lapidarstil.
2768
Und nun möge das Kirchenbuch sprechen.
Aufzeichnungen des Pastors Johannes Thile I.1)
»In diesem Jahre 1609 ist Herr Ernst von Schlabren-
dorf, Erbherr auf Gröben und Siethen, aus dieser
Zeitlichkeit geschieden. Er war vermählt mit Ursula
von Thümen, aus welcher Ehe demselben zwei Söh-
ne geboren wurden: Joachim von Schlabrendorf und
Melchior Ernst von Schlabrendorf. An Melchior Ernst
kam Gröben, und an Joachim kam Siethen, so daß
wir von diesem Jahre 1609 an zwei Schlabrendorf-
sche Linien haben: eine gröbensche und eine
siethensche.
1620 am 18. Oktober hat der an der Nuthe wohnen-
de Vogt Hans Blume seinen Stiefvater Hans Möller
mit einer Büchse erschossen.« Nachschrift aus dem Jahre 1622: »Selbiger Hans Blume wurde von den
Obrigkeiten zu keiner Strafe gezogen, vielmehr
heimlich über die Grenze geschafft. Er ging nun in
den Krieg nach Böhmen. Eh er aber nach Prag kam,
ward er, nach gerechter göttlicher Wiedervergeltung,
auch erschossen. Hat also in seinen Sünden hinster-
ben müssen. Ach, weh der armen Seele.
1621 am 28. Oktober ist in unsrer Nachbarschaft
(auf Schloß Beuthen) ein Sohn geboren worden. Die-
ses Kind hat, salva venia, keinen Podicem gehabt, so
daß es seiner natürlichen Funktionen unfähig gewe-
sen ist. Wonach Meister Hans Meißner, Bader zu
Trebbin, mit dem Messer den Podicem hat öffnen
2769
müssen. Und ist durch Gottes Segen gut geworden
und hat einen Podicem gehabt. Wie wunderbar han-
delt Gott mit uns Menschen!
1629 hat Ihre Kurfürstliche Hoheit dero Küchenmeis-
ter in Königsberg in Preußen aufhenken lassen.
1631 starben in Gröben und Siethen 126 Menschen
an der Pest.
1632. Bis zu diesem Jahre bin ich, Johannes Thile,
dreihundertmal zu Gevatter gebeten worden.
1633 wurde das 1598 gestiftete Uhrwerk repariert.
1634 den 25. März sind Wiprecht Erdmanns Tochter
Ursula, Martin Schmidts Tochter Ursula und Hans
Bethekes Stieftochter Ursula in einem Kahn spazier-
engefahren und, als der Wind kam, auf den See ge-
trieben worden. Wobei die zwei ersten ertrunken und
zu Gröben beide in ein Grab gelegt worden sind.«
Nach diesem Jahre (1634) hören die Mitteilungen,
wie schon angedeutet, auf ganze Jahrzehnte hin auf
und werden erst in den siebziger Jahren wieder auf-
genommen.
Aufzeichnungen der Pastoren Friedrich Zander,
Felician Clar (auch Clarus) und Heinrich Wilhelm Voß
2770
»1673 den 5. November ist Anna Mulisch, die schon
mehrere Kinder außer der Ehe gehabt, von mir get-
raut worden. Und dieser ›Schandsack‹ hat sich in
einem Kranze zur Kirche führen lassen.
1674 am 18. Dezember ist Ursula Lehmann enthaup-
tet worden, weil sie das mit ihrem Schwager erzeug-
te Kind ins Wasser geworfen.
1675 am 3. August ist Andreas Fritze, Weinmeister
hierselbst, begraben worden, der ein heftiges Ge-
wächs gehabt hat, eines Viertels vom Scheffel groß,
so ihm hinten am Halse gehangen. Ist aber doch
vierundachtzig Jahr alt geworden.
1679 am 27. März sind auf unserer Feldmark zwei
Soldaten begraben worden, welche den Tag vorher
mit ihrer Compagnie hier einquartiert gewesen. Sie
konnten keine Särrker (Särge) bekommen, weil ih-
nen ihre Kameraden nichts gelassen hatten als alte
Lumpen, welche denn auch ihr Sterbekleid bleiben
mußten.
1697. In diesem Jahr ist der moskowitische Zar Peter
bei Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht gewesen.
1717. Hoc anno celebratum est iubilaeum evangeli-
co-Lutheranum. Matthäus 22, 5.
1726 wurde wieder eine Kindesmörderin hingerich-
tet.
2771
1727 starb Felician Clar, der vierzig Jahr in Gröben
Pastor gewesen.
1729 wurde Botho Müller wegen Gotteslästerung
durch den Henker
Weitere Kostenlose Bücher