Wanderungen durch die Mark Brandenburg
bedeutender Mittel,
errichtet habe. Zu Nutz und Frommen der Siethner,
aber – nur in Absicht und Vorstellung. In Wirklichkeit ist noch kein Toter aus Siethen in diese Halle gestellt und noch kein Totengebet über ihn hin in der unmittelbar anstoßenden Kapelle gesprochen worden.
Und hier ist nunmehr die Stelle gegeben, wo Kritik
geübt werden muß, ich weiß nicht, ob mehr an den
Siethnern oder an den zwei frommen Frauen.
Dieser letzteren Tun und Wirken war unzweifelhaft in
hohem Maße segensvoll und förderte nicht bloß, wie
sich statistisch nachweisen ließe, jegliches Gute, sondern stimmte die Dorfbevölkerung auch zu ganz
aufrichtigem und in mehr als einem Falle zu gerade-
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zu bewunderndem Dank. An dieser erfreulichen
Hauptsache wird nichts geändert. Aber andrerseits gingen beide Damen in ihrem Hochfluge gelegentlich
zu weit, und wie Kaiser Joseph einst dem österreichi-
schen Volke mehr Aufklärung gab, als es haben woll-
te, so gaben hier die Scharnhorstschen Damen ihren
Siethnern ein Maß von Fortschritt, Wohltat und Hilfe,
das über das Verständnis und jedenfalls über
Wunsch und Bedürfnis all derer hinausging, die da-
durch beglückt werden sollten. Beide Damen ver-
kannten die bäuerliche Natur, unterließen es, die
Macht der Gewohnheit und Sitte gebührend in Rech-
nung zu stellen, und scheiterten deshalb in allem,
was über die direkte persönliche Hilfe hinauslag und, im besten Sinne reformatorisch gemeint, aufs Allgemeine hin angesehen sein wollte.
Dies zeigte sich bei jeder ihrer Stiftungen: bei Grab-
kapelle, Leichenhalle, Tabea-Haus, und zwar in im-
mer gleicher oder doch verwandter Weise.
Die Grabkapelle samt Leichenhalle war darauf be-
rechnet, namentlich bei Typhusepidemien, vor den
Gefahren der Ansteckung zu schützen. Aber das war
lediglich im Sinne der Humanität und keineswegs im
Sinne der Siethner gedacht. In Siethen verstieß es
gegen das Herkommen, und jeder Tagelöhner und
Büdner sagte: »Gefahr hin, Gefahr her. Es paßt sich
nicht und ist schlecht und feige, solcher Gefahr aus
dem Wege gehen zu wollen. Unser Vater oder Kind
ist nun tot, ist uns genommen nach Gottes Willen,
und ob wir's bequem haben oder nicht, dieser Tote,
solang er über der Erde, gehört in unser Haus, und
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uns liegt es ob, an seinem Sarge zu wachen, unbe-
kümmert darum, ob er uns nachzieht oder nicht.« Es
mag dies vor dem Verstande schlecht bestehen, vor
dem Herzen desto besser, und ich habe nicht den
Mut, einer Gemeinde zu grollen, die lieber ihre Lei-
chenhalle zerfallen sehn, als ihre Toten vor dem Be-gräbnis aus dem Auge lassen will.
Ein Ähnliches ist es mit dem Tabea-Haus . Es kommt
– darin seine Bestimmung erfüllend – allerdings Ar-
men- und Waisenkindern zugut, aber immer nur
Waisenkindern aus dieser oder jener, oft sehr ent-
fernten Stadtgemeinde, während noch kein Siethner Kind als Pflegling in das Haus aufgenommen werden
konnte, selbst dann nicht, wenn beide Eltern weggestorben waren. Es ist eben in solchem Falle der
nächsten Anverwandten Amt und Ehrensache, für die
Verwaisten einzutreten, und sie würden sich mit ei-
nem nicht zu tilgenden Makel behaften, wenn sie sich
dieser Pflicht entschlagen wollten.
Und ablehnend wie gegen Tabea-Haus und Leichen-
halle verhalten sich die Siethner auch gegen die
Wohltat einer selbständigen Pfarre , trotzdem ihnen, wie schon hervorgehoben, ein sehr bedeutendes und
vollkommen ausreichendes Kapital zu diesem Zwe-
cke zugesichert wurde. Hier spricht nun freilich außer
Gewohnheit und Pietät auch noch ein drittes und
viertes mit: Argwohn und unendliche Schlauheit. Aus
Tradition und eigner Erfahrung weiß der Bauer, daß
sich an jedes Geschenk über kurz oder lang eine
Pflicht zu knüpfen pflegt, und dieser aus dem Wege
zu gehn ist er unter allen Umständen entschlossen.
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Ein Pfarrhaus ist bewilligt worden, gut; aber es kann
doch eine Zeit kommen, ja, sie muß kommen, diese Zeit, wo die Fenster im Pfarrhause schlecht, die Staketenzäune morsch und die Dachziegel bröcklig wer-
den. Und wer tritt dann ein? von wem erwartet man dann die Hilfe? Natürlich von der neuen Kirchenge-meinde, der der neukreierte Herr Pfarrer nunmehr
vielleicht seit lange schon, seit einem Menschenalter
und länger, in Ehren und Würden vorgestanden hat.
Und das will der Bauer nicht. Er weiß nichts von ti-meo Danaos, aber er hat alle darin verborgene
Weisheit und Vorsicht in seinem Gemüte, und
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