Wanderungen durch die Mark Brandenburg
in den ödesten
Heidestrich eine Welt voll Leben zaubert.
Es braucht kaum versichert zu werden, daß sich Torf
und Sand nicht darauf kapriziert haben, eine Aufbe-
wahrungsstätte für Raritäten aus den Zeiten Odins
zu sein. Auch Späteres ist in diesen Torfboden versenkt worden, und auch von diesem Späteren birgt
die Ruppiner Sammlung einiges von Interesse. Nur
zweier dieser Gegenstände sei hier erwähnt: eines
Hakens (zum Ziehen der Ackerfurche) von Eichen-
holz und einer eisernen sogenannten Götz-Hand .
Der Haken von Eichenholz, vier Fuß fünf Zoll lang,
wurde bei Entwässerung eines drei Morgen großen
Pfuhls in der Nähe des Dorfes Dabergotz gefunden.
Der Boden bestand oben aus einer drei bis fünf Fuß
tiefen Torflage, dann Ton, dann Humus, dann Kalk,
dann Kiesgrund. Zwischen der Kalk- und Kieslage, im
ganzen etwa zehn Fuß tief unter der Oberfläche,
ward im November 1822 der Haken gefunden, einige
Wochen später auch das noch fehlende Stück, das
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seinerzeit augenscheinlich die Stelle des Hakeneisens vertreten hatte, da es sich schaufelförmig und aus
härtrem Holze gearbeitet erwies. Welcher Zeit dieses
primitive Ackergerät angehört, dürfte schwer festzu-
stellen sein.4)
Die Götz-Hand ist wohl mindestens ein halbes Jahrtausend jünger. Sie ward im Februar 1836 bei der
Schiffbarmachung des Rhins innerhalb der Stadt
Alt Ruppin, dicht neben der langen Brücke, gefun-
den. Diese eiserne Hand ist zum Festschnallen am
linken Arm eingerichtet und hat, der Maschinerie
nach, wahrscheinlich zur Führung des Zügels mit der
Linken gedient. Der Rost hat an einzelnen Stellen
das Innere offengelegt, und man sieht mit Hilfe die-
ser Öffnungen die kleinen Räder des Mechanismus,
der sich in seiner Gesamtheit gut genug erhalten
hat, um auch jetzt noch die gekrümmten und beweg-
lichen Finger in jede beliebige Stellung bringen und
in dieser fixieren zu können. Dies wird durch Schie-
ben an einer Daumplatte und mittels zweier Knöpfe
an der Handwurzel bewirkt.
Der letzte Gegenstand, über den ich berichten möch-
te, hängt verstaubt und verspinnwebt an einer Fens-
terwand und hat ebensowenig gemein mit dem Bron-
zewagen Odins wie mit der eisernen Hand irgendei-
nes märkischen Götz. Es ist dies eine Rokokoschöp-
fung, und zwar ein etwa acht zu vier Zoll großer
Kupferstich, der folgende langatmige Unterschrift
führt: » Berlins Menschenliebe kommt Ruppin , in der Asche liegend, zu Hilfe – die Hoffnung zeigt ihr den , der es wieder erheben wird, Engel des Himmels freu-306
en sich dieser Wohltaten. Den abgebrannten Ruppi-
nern gewidmet von D. Chodowiecki.«
Eigentümlich wie diese Unterschrift ist das ganze
Blatt. Die abgebrannte Ruppina liegt am Boden, der extravaganten Fülle ihrer Formen nach so unterstüt-zungsbedürftig wie nur möglich. Nichtsdestoweniger
erscheint Berolina , angetan mit Lorbeer und Mauerkrone, um der wohlkonservierten, aber nackten
Schwester ihr Gabenfüllhorn entgegenzutragen. Es
scheint jedoch, daß jene (Berolina) beim Anblick der
Schwester wieder schwankt und erst auf das Er-
scheinen der Menschenliebe wartet, die denn auch schließlich, halb zuredend, halb tatsächlich drängend, die Zögernde weiter vorwärts schiebt. Diese
drei Figuren bilden die eine Gruppe, neben welche sich, gut miteinander verbunden, eine zweite Gruppe
stellt. Die zwischen Wolken ruhende Hoffnung (in Wahrheit eine Pompadour, die sich auf Polstern
streckt) zeigt auf die Portraitbüste Friedrich Wil-
helms II., Palmen wachsen rätselhaft dazwischen,
und zu Häupten schweben Engel, die, jeder Askese
los und ledig, in nächster verwandtschaftlicher Be-
ziehung zu Amor und Amoretten stehen.
Ein wunderliches Blatt: sinnreich, amüsant und von
guter Technik, vor allem auch (was ich nicht gering
anschlage) kühn und naiv zugleich. Im ganzen aber,
trotz dieser und anderer Vorzüge, wenig erquicklich,
mehr Karikatur als Kunst und interessant allein in
seiner Verschmelzung von Genie und Philistrosität,
von künstlerischer Freiheit und politischer Befangen-
heit.
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Chodowiecki gilt als ein Meister ersten Ranges, und
das Rokoko , das er vertritt, tritt eben jetzt wieder in die Mode. Gut; ich unterwerfe mich den Tatsachen,
den Konsequenzen einer natürlichen Entwicklung.
Und doch wär es hart, wenn es hundert Jahre nach Schinkel wieder dahin käme, daß die Berolina (die
»Menschenliebe« wie eine Stoßlokomotive hinter
sich) der nackt in
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