Wanderungen II. Das Oderland.
Burgtrümmern vorüberkommt, der fühlt wohl, daß ihn sein Weg in Gegenden geführt hat, wo's nicht wundernehmen darf, daß alte Volkssagen noch lebendig sind und weiter wachsen und schaffen. Und ein alter Knecht lebt noch auf einem der ehemaligen Sparren-Dörfer, der sieht alles voraus, was passiert, und prophezeit von einem großen Kriege, der in den Achtziger Jahren kommen wird. »Dann werden die Menschen so rar werden wie die Störche im Jahre 1857, wo ein großer Sturm sie verschlagen und so viele umgekommen waren, daß man alle fünf Meilen nur einen noch sah. So wird Gott die Menschen schlagen, wie er damals seinen Gottesvogel geschlagen. Und dann werden die Menschen sich freuen, wenn einer den andern sieht.«
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Es verlohnt sich, dies eigens hervorzuheben, denn unter den mannigfachen kleinen Strapazen, womit das Hinaufsteigen in alte Türme und das Hinabsteigen in alte Grüfte verbunden ist steht das Glockeninschrift-Lesen obenan. Ohne »Licht und Leiter« geht es eigentlich kaum, aber beide sind nie zur Hand, und so fällt einem das Los zu, sich zu helfen, so gut es geht. Das erste ist, daß alle Schallöcher geöffnet werden, die nun natürlich einen Zug herstellen, als sollte Wäsche getrocknet werden, während es dem vom Treppensteigen Erhitzten wie der Tod über den Röcken läuft. Nun sind die Schallöcher auf, und das Licht dringt ein, aber entweder die Distance oder die gotischen Buchstaben oder gar der Schwalbenguano spotten noch immer der Entzifferungskunst des unten Stehenden, der sich nun genötigt sieht, die Reste seiner Turnerschaft hervorzusuchen. Erst ein Griff nach dem Oberbalken, dann ein Schwung in das Kreuzgebälk hinein – so, halb hängend, halb stehend, beginnt die Lektüre. Ist nun ein gefälliger Küster, dem sich Wort für Wort diktieren läßt, mit in den Turm hinaufgestiegen, so kann das Schlimmste der Expedition als überstanden angesehen werden, hat er aber, aus diesem oder jenem Grunde, seine kleine Tochter mit hinaufgeschickt, so bleibt einem schließlich nichts anders übrig, als sich, wie der Glöckner von Notre-Dame, seitwärts auf die Glocke zu werfen und, die »große Marie« fest umarmend, auf dem erzenen Nacken derselben die Inschrift abzuschreiben. ._.
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Einige Stellen aus Briefen, die er damals an Varnhagen und Hitzig richtete, mögen hier auszugsweise einen Platz finden.
Er schreibt an Varnhagen, Kunersdorf, den 27. Mai 1813:
»Lieber Varnhagen, tun und lassen war für mich gleich schmerzhaft; durch den Machtspruch von Ehrenmännern in Untätigkeit gebannt, bring ich den Sommer bei dem Herrn von Itzenplitz auf seinen Gütern zu, in Kunersdorf bei Wriezen, und beschäftige mich allein mit Botanik, wozu ich die herrlichsten Hülfen habe. Ich helfe hier übrigens auch den Landsturm exerzieren , und kommt es zu einem Bauernkrieg, so kann ich mich wohl darein mischen – pro aris et focis. – Mit euch unterzugehen, will ich nicht verneinen .« 1)
An Hitzig, Kunersdorf, Juni 1813:
»Ich arbeite immer an meinen Pflanzen, gehe mit meinem Gärtner botanisieren, vergleiche meine Kataloge, korrigiere die französischen Aufsätze der jungen Leute, unterweise sie etwas in der Botanik... Das war ein schwerer Mai (Lützen und Bautzen). Wie klingt doch so seltsam mit einem Male in mir das Wort Fouqués:
Im Mai, im Mai, im jüngsten Mai,
Wo alles Leben sonst geht auf,
Da ist des jungen Helden Lauf
Ganz wider Blumenart vorbei.
O Gott, möchte er es nicht von sich selber gesungen haben! Grüß mir die Bekannten und Freunde, die Dir in den Wurf kommen. Gott verzeihe mir meine Sünden; aber es ist wahr:
Das ist die schwere Zeit der Not,
Das ist die Not der schweren Zeit,
Das ist die schwere Not der Zeit,
Das ist die Zeit der schweren Not.
Da hast Du ein Thema.«
An Hitzig (Kunersdorf; wahrscheinlich im September):
»... Du hast nichts weniger von mir erwartet als ein Buch! Lies das Deiner Frau vor, heute abend, wenn Du Zeit hast. Wenn sie neugierig wird zu erfahren, wie es Schlemihl weiter ergangen, und besonders, wer der Mann im grauen Kleide war, so schick mir gleich morgen das Heft wieder, auf daß ich daran schreibe – wo nicht, so weiß ich schon, was die Glocke geschlagen hat. Vom dritten Kapitel ist das erst der Anfang; dies und das folgende sind mir sehr beschwerlich – es stehen die Ochsen am Berge.«
An Hitzig (Kunersdorf, Spätherbst 1813):
»Dieses zur Erinnerung, daß Du einen Freund in Kunersdorf hast, dem Du eben nicht sehr oft
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