Wandlung
Häschenkostüm, das Fell blutverschmiert.
Die Stufen führten hinunter in dunkles Wasser. Eine der Rumpfplatten war beim Zusammenstoß der Hyperion mit der Ölplattform unterhalb der Wasserlinie an der Schweißnaht aufgeplatzt. Das Schiff war zwar noch seetüchtig, allerdings waren einige der mittleren Abteilungen vollgelaufen.
Am Fuß des Treppenschachts, bereits tief im eisigen Wasser, gab es eine Tür, die auf direktem Weg in die unmittelbar unter den Offiziersquartieren gelegenen Räumlichkeiten führte, und diese Tür würde weder verkeilt noch mit Sprenggranaten verkabelt sein. Sie war eine Schwachstelle, da die Besatzung der Rampart bestimmt nicht damit rechnete, dass jemand aus dem Meerwasser nach oben steigen würde.
Rye erreichte die Stelle, wo das Wasser über die Stufen
schwappte. Sie ging weiter hinein, erst bis zu den Knien, dann bis zur Hüfte und weiter bis zur Brust, bis das Wasser schließlich über ihr zusammenschlug.
Unter Wasser umgab sie eine alles erdrückende Stille, grünliche Finsternis. Rye bewegte sich langsam wie ein Astronaut. Eigentlich hätte die Kälte sie umbringen müssen, doch sie konnte sie kaum spüren. Sie atmete Wasser, aber selbst das schien ihr nichts auszumachen.
Am Fuß des Treppenschachts befand sich eine abgesoffene elektrische Wandleuchte, die immer noch hell brannte. Ein Stichling schwamm vor Ryes Gesicht vorbei und verschwand in einer Fußbodenöffnung.
Sie fand die Luke, drehte an den Griffen und zog sie auf. Irgendwo in der Nähe musste sich ein Schrank mit Toilettenutensilien befinden, denn das Wasser rings um sie her war angefüllt von aufgelöstem Klopapier.
Rye trat durch die Tür und blickte über ihre Schulter. Die grotesken Tiergestalten ihrer Begleiter hielten hinter ihr noch immer Schritt, ein einarmiger Clown, eine Balletttänzerin mit klumpigen und von tumorartigen Wucherungen entstellten Hüften.
Eine weitere Treppe. Rye stieg sie hinauf; das Wasser lief ihr in Strömen aus den Kleidern, als sie die Wasseroberfläche durchbrach. Ihre Begleiter folgten ihr, schüttelten das Wasser von ihren tierähnlichen Köpfen, wankten unter dem Gewicht ihrer vollgesogenen Kleider.
Für einen Moment klärten sich ihre Gedanken, und sie wurde sich bewusst, welch entsetzliches Gemetzel sie auszulösen im Begriff war. Die Besatzung der Ölplattform befand sich zwei Decks über ihnen beim Abendessen, überzeugt, hinter den Barrikaden in Sicherheit zu sein.
Rye langte in ihre Tasche, um ihre Granate hervorzuholen,
erinnerte sich dann, dass sie sie weggegeben hatte. Vielleicht sollte sie das Sprinklersystem auslösen und Alarm schlagen. Doch schon im Augenblick darauf wusste sie nicht mehr, wer sie überhaupt war und wieso sie, bedrängt von Monstern in abgerissenen Karnevalskostümen, in einem Treppenschacht stand. Also schloss sie sich der Herde an und stapfte an der Seite ihrer albtraumhaften Begleiter die Stufen hinauf, der Besatzung der Rampart entgegen, bereit, sie in Stücke zu reißen.
Teil 3
PLAN B
31 – Die Zuflucht
Nail und Gus hatten sich im Nebel verirrt; ihre Taschenlampen beleuchteten nichts als Schnee und wabernden Dunst, ihre Bärte waren zu Eis erstarrt, ihre Kleidung mit einer Reifschicht bedeckt.
»Wir haben uns verlaufen.«
»Nein, haben wir nicht.«
Gus hatte schlimme Verbrennungen, er lehnte sich gegen Nail, um sich abzustützen.
»Augenblick«, sagte Nail. »Warte mal.«
»Was ist?«
Nail zog ein rotes Stirnband aus seiner Tasche und hielt es wie einen Windsack in die Höhe. »Ich denke, wir laufen in die richtige Richtung, wir müssen einfach den Wind im Rücken behalten.«
»Und was dann? Wir sind total am Arsch.«
Nails Stablampe hatte die ersten Aussetzer. »Wir müssen weitergehen, wir müssen unbedingt einen Unterschlupf finden.«
Die Hyperion war überrannt worden. Während des Angriffs hatten Nail und Gus sich abgesetzt, sie hatten sich an dem verknoteten Seil vom brennenden Schiff heruntergelassen und den glatten weißen Rumpf hinab bis auf das Eis abgeseilt. Jacken trugen sie keine, sie waren beide nur mit einem T-Shirt und einem Fleecepullover bekleidet. Sie konnten vielleicht noch fünfzehn
Minuten überleben, ehe sie der Kälte erliegen würden.
Gus sackte zusammen, als wollte er sich hinsetzen.
»Geh weiter«, kommandierte Nail, die Stimme tonlos und vom Nebel gedämpft. »Es kann nicht mehr weit sein.« Er verfiel in heftiges Zittern.
Während sie über verschneite Felsen stolperten, waren hinter ihnen dumpfe
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