Wandlung

gesagt, als Nail ihn über das Deck der Hyperion zu den geknoteten Tauen schob, die die Besatzung der Rampart vorbereitet hatte für den Fall, dass sie sich einen schnellen Abgang von Bord verschaffen mussten. »Und die anderen holen gehen.«
    Ein brennender Passagier kam aus einer Kabinentür gestolpert und packte Gus mit einer ungestümen Umarmung. Gus schrie, als seine Kleider Feuer fingen. Nail beförderte den Passagier mit einem Fußtritt über die Reling, schlug dann auf Gus’ Fleecepullover ein, bis die Flammen endlich erloschen.
    Vor einem Niedergang erhaschten sie einen Blick auf Yakov, der schrie, mit den Armen Hilfe herbeiwinkte und versuchte, vor einer Gruppe von Ungeheuern in Partykostümen wegzulaufen. Er quiekte wie ein Schwein im Schlachthaus, als ein Pierrot ihn zu Boden riss.
    »Vergiss es«, sagte Nail. »Wir können nichts mehr für ihn tun. Wir müssen verdammt noch mal machen, dass wir von hier verschwinden.«
    Kaum hatten sie das Schiff verlassen, als mit einem ohrenbetäubenden Tosen mehrere Granaten detonierten und das Schiff in Brand steckten. Als die Treibstofftanks explodierten, rannten sie bereits über das Eis; eine Hitzewelle rollte über sie hinweg, und rauchende Trümmerteile sprenkelten den Schnee.
     
    »Was meinst du, sind wir die einzigen Überlebenden?«, fragte Gus. »Oder glaubst du, dass es sonst noch jemand von Bord geschafft hat? Ich habe keinen der anderen gesehen. Jane und Ghost waren auf ihrem Zimmer, Punch
und Sian ebenfalls. Gut möglich, dass wir beide, du und ich, als Einzige noch übrig sind.«
    »Ich habe wirklich keine Ahnung.«
    »Aber wenn es tatsächlich so ist? Wenn nur noch wir übrig sind?«
    »Dann werden wir etwas aushandeln.«
    »Aber selbst wenn sie es bis zur Plattform geschafft haben, weiß kein Mensch, dass wir hier sind. Wie sollen wir Hilfe rufen?«
    »Ganz im Ernst, du solltest dich ausruhen.«
    »Was meinst du, wie lange die Laterne halten wird?«
    »Es sind ganz normale Batterien, also höchstens vier oder fünf Stunden. Ich werd dich jetzt eine Weile hier zurücklassen, in Ordnung? Ich werd mich mal umsehen, die Gänge unter die Lupe nehmen. Ich muss unbedingt mehr Feuerholz auftreiben.«
     
    Mit einem brennenden Plankenstück in der Hand betrat Nail den Tunnel.
    Seine Schritte hallten, das brennende Holz knisterte und zischte, die Fackelflamme flackerte. Von irgendwoher hörte er es wispern und seufzen, offenbar gab es tief im Innern des Komplexes Belüftungsschächte. Wie ausgedehnt mochte das Tunnelnetz sein? Unterhöhlte es womöglich die gesamte Insel?
    Er ging weiter den abfallenden Schacht hinab, vorbei an schwarzen Stützbogen und unheimlichen Formen. Sein Plan war, sich ausgiebig umzusehen, er befürchtete jedoch, sich rasch zu verlaufen, sobald er vom zentralen Gang abwich. Wenn seine Fackel ausging, ein Windstoß seine Flamme löschte, würde er sich womöglich bis zur Erdoberfläche zurücktasten müssen.
    Weite, gigantische Kammern mit Decken, so hoch,
dass der matte Schein seiner Fackel die Schatten nicht zu durchdringen vermochte. Der Tunnelkomplex schien zu einem anderen Zweck als der Lagerung atomaren Materials erbaut worden zu sein, für die Einlagerung von Brennstäben war er viel zu weitläufig und aufwendig.
    Als er stehen blieb, um kurz zu verschnaufen, überkam ihn unvermittelt ein schrecklicher klaustrophobischer Anfall, das untrügliche Gefühl, dass diese Stahlbetonkatakomben sein Grab sein würden. Was er hier vor sich sah, waren die feucht glänzenden, schimmeligen Wände seines eigenen Sargs.
    Er schlenderte durch Höhlen und Hallen, durch unfertige Korridore aus rohem, unbearbeitetem Muttergestein, bewegte sich durch Lagen fossiler Schichten hinab: das Kohleflöz eines Regenwaldes, ferne Jahrtausende, zu einer Schicht aus Kohlenstoffkristallen zusammengepresst. Die Wände glitzerten von zermahlenem Muschelkalk und Siliziumdioxid.
    Er hatte einmal gehört, dass eine Gruppe sowjetischer Dissidenten, die zu Zwangsarbeit in einer sibirischen Mine verbannt worden waren, ein im Eis konserviertes Mammut entdeckt hatte. Sie hatten überlebt, weil sie es in Streifen geschnitten und wie Trockenfleisch gekaut hatten.
     
    Endlose Flure mit Schlafräumen und Büros, die Schreibtische und Schreibmaschinen mit einer Gesteinsstaubschicht bedeckt. Ein in der Zeit erstarrtes militärisches Lagezentrum: sowjetische Karten aus dem Kalten Krieg, Porträts von Lenin, verrostete Fernschreiber, Wählscheibentelefone.
    Metallrohrmöbel,